Ich hatte sie alle
ich mich fragte, was an diesem perfekten amerikanischen Albtraum noch fehlte. Sandra brachte mich schließlich darauf:
»Wo ist denn Melissa?«, quäkte sie.
Wie aufs Stichwort öffnete sich die Badezimmertür,und Melissa wankte heraus. Sie trug eine rote Lackkombi, die im Schritt so eng saß, dass sich an dieser Stelle formschön das abzeichnete, was der Amerikaner gern scherzhaft-derb als cameltoes bezeichnet. Das Make-up um ihren Mund war einer Schicht weißen Glibbers gewichen, das ich zu diesem Zeitpunkt noch für Pina Colada hielt. Freudestrahlend winkte sie uns mit einer alten Pferdepeitsche zu.
»Okay«, rief sie, »wer ist als Nächstes dran?«
Alles, was noch grölen konnte, grölte. Grandma Walton kicherte wie ein verlegenes Schulmädchen. Sandra war auf die Knie gesunken. Ob sie das getan hatte, um für die armen Seelen zu beten oder um einen besseren Blick auf Melissas Schritt zu erhaschen, blieb ewig ungeklärt.
Es bestand Handlungsbedarf. Ich packte Donkyschlong am Schlafittchen und sprach so eindringlich auf ihn ein, wie man es mit jungen Hunden tun soll: »Erzähl mir nicht, dass Melissa hier einen nach dem anderen auspeitscht.«
Donkyschlong holte zu einer Erklärung aus, doch ein Slash-Double zu meinen Füßen kam ihm zuvor: »Doch, genau Baby, aber das Beste ist: Wer nicht schreit, kriegt anschließend einen geblasen.«
Man sollte gehen, wenn’s am Schönsten ist.
Unglücklicherweise war Sandra bei der Erläuterung der Party-Spielregeln in tiefe Ohnmacht gefallen, und so ganz alleine wollte ich auch nicht raus zum Sterben. Melissa turnte mittlerweile halb entblößt um die Waltons herum und versuchte, sie als Kandidaten fürdas Badezimmer-Blase-Bingo zu gewinnen. Grandpa winkte lachend ab und sagte: »Nein, nein, Melissa, das mit der Peitsche geht mir zu sehr auf den Rücken.«
Melissa hielt mitten im Hopsen inne und rief dann, ganz perfekte Gastgeberin: »Aber Mister Stealing, Sie würde ich doch nie vorher Auspeitschen. Sie sind doch mein Vermieter !«
Plötzlich fand ich die Idee, alleine durch ein halbes Dutzend Gang-Gebiete nach Hause zu stöckeln, irgendwie erfrischend. Ich rannte die vier Stockwerke nach unten und atmete tief durch. Gut, ich stand ohne Geld und nur mit einem Cocktailkleidchen bekleidet im zweitderbsten Viertel von Los Angeles, und es war kurz vor zwölf. Weil ich aber doch eine Art Ehrgeiz verspürte, mein neunzehntes Lebensjahr zumindest ansatzweise zu erleben, packte ich mir die entsorgte Mikrowelle auf den Rücken und taperte Richtung Westen. Ich nahm an, dass ich zumindest die erste marodierende Bande mit einem gezielten Wurf mit meiner unkonventionellen Waffe würde abwehren können.
Hundert Meter weiter lief ich gegen einen Baum. Höchst ungewöhnlich in dieser Gegend, dachte ich noch und wunderte mich nur noch ein bisschen, als der Baum anfing zu sprechen: »Hey, crazy Lady, tust du da ’ne Mikrowelle haben tun?«
Da mein Leben so oder so vorbei war, wollte ich zumindest den Baum retten. Ohne den Kopf zu heben, antwortete ich: »Hey, das ist ’ne ganz schlechte Gegend hier, da sollte man um diese Zeit nicht rumhängen.«
Der Baum streckte seine Armäste aus und hob mich aus meinen Pumps: »Crazy Lady, ich bin Big Ben, und ich bin die schlechte Gegend hier, verstanden?«
Big Bens Augen waren eng wie die Schlitze eines Kaffeeautomaten, dafür war sein Mund so groß wie mein Gesicht. Er roch nach toten weißen Teenagern.
Ich wollte meine letzten Sekunden nicht mit Sport vertun, also hing ich in seinen Armen wie ein nasser Sack und wartete, bis er mich aufessen würde. Er schüttelte mich.
»Hey, ich hab’ dich was gefragt gehabt. Ist das da eine Mikrowelle, die du da haben tust?«
Verwirrt und des Sterbens ungeübt, tat ich etwas total Unprofessionelles. Ich fing an zu heulen und wimmerte: »Jaaaa, und du kannst sie haben, aber bitte bring’ mich nicht um, weil … ich hab’ heute Geburtstag!«
Big Ben schnaufte. Dann grinste er.
»Das tut ja mal ’nen Ding sein tun. Und den willst du ausgerechnet allein mit ’ner Mikrowelle feiern tun?«
Ich nickte eifrig.
»Ich tu’ da ’ne bessere Idee haben tun. Ich tu’ nämlich auch Geburtstag haben tun. Wir gehen jetzt richtig feiern tun in Big Ben’s Blues Bar.«
Ich fügte mich meinem Schicksal, zum einen, weil ich Blues als Beerdigungsmusik für angebracht hielt, zum anderen, weil Big Ben mich einfach samt Mikrowelle schulterte und pfeifend über die Straße trug.
Vor der Tür setzte er mich
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