Ich hatte sie alle
ab und hielt mir ein Stofftaschentuch vor den Mund. Chloroform, hatte ich es doch gewusst.
»Hier«, sagte er, »wisch dir mal durchs Gesicht, dass ist völlig vollgerotzt. Tust du heute fünf werden tun, oder was?«
Als wir die Bar betraten, verstummte die Band. Zwanzig Augenpaare schwenkten herum und glotzten uns an. Big Ben grunzte.
»Hey, Leute, was sollte ich tun? Die Mikrowelle gab’s nur zusammen mit der Lady hier, und außerdem hat die heute auch Geburtstag haben tun.«
Die ersten Töne von Happy Birthday erklangen auf einer Mundharmonika. Ein Greis tippte mich an und fragte: »Hey, Girliebird, ich bin Little Ben, Bens Papa. Ihr zwei stoßt jetzt erst mal auf euren Geburtstag an und auf die neue Mikrowelle. Was trinkt die kleine Lady?«
Ich überlegte kurz.
»Erdbeersekt.«
Big Ben hielt das für eine gute Wahl, und wir tranken noch bis in den frühen Morgen, an dem Bens Bruder Tiny Tim mich nach Hause brachte. Am nächsten Tag rief ich meine Oma an und berichtete ihr, dass ich jetzt einen wirklich netten Mann kennen gelernt hätte.
Seitdem mache ich mir keinen allzu großen Stress mehr an meinem Geburtstag oder Geburtstagen überhaupt. Wenn ich zu einer Abendeinladung gehe, habe ich allerdings immer eine Mikrowelle im Gepäck – ungeheuer praktisch, falls man gezwungen ist, die Party früher als geplant zu verlassen. Man wird ja nicht jünger. Never!
1988 war ich ein spätes Mädchen. Denn ich war schon zwölf und hatte noch nie geknutscht. Laut meinem Sandkastenfreund Georg lag das daran, dass ich noch nie mit einem Jungen geschwoft, also eng getanzt hatte. Um mich von der Bürde meiner Ungeknutschtheit zu befreien, wollte Georg eine Party im Hobbykeller organisieren. Dort sollte ich einen geeigneten Sparringspartner, also einen fremden Jungen aus Georgs neuer Klasse, finden, mit welchem ich das unbedingte Vorspiel, den Engtanz, vollziehen sollte, um dann, endlich, wohlverdient zu knutschen.
Superidee, oder?
Scheißidee, dachte ich.
Denn erstens kannte ich Georg. Georg, damals ebenfalls zwölf, galt als Experte: Er hatte schon eine feste Freundin mit richtigem Busen, den er auch schon mal angefasst haben sollte. Er war ein Sexmaniac, der nicht davor zurückschreckte, seine Wellensittiche in einen Kopfkissenbezug zu stecken, auf dass sie endlich anfingen zu kuscheln und Eier zu legen.
Zweitens kannte ich den Hobbykeller: muffig, zwanzigMeter im Quadrat und einen Meter fünfundachtzig hoch. Ich war schon damals einen Meter achtzig hoch.
Und drittens kannte ich die Geschichten der anderen Mädchen, die es schon mal getan hatten: Geschichten von üblem Mundgeruch, zermalmten Füßen, von Umarmungen bis zur Schmerzgrenze und sogar von Jungs, die bei so einem Tänzchen »steif« geworden waren. Was da stattfinden sollte, war in meinen Augen eine Neunzehn-Uhr-Orgie im Brutkasten.
Ich wollte schon gar nicht mehr knutschen, aber jetzt musste ich hin. Denn Georgs Mutter hatte mit meiner Mutter geredet. Die fanden das unheimlich süß, dass wir mal ’ne Fete steigen lassen wollten.
Zu meiner sexuellen Unreife kam, dass mich meine Mutter damals noch stilistisch beriet. Sie steckte mich in einen knatschbunten Oilily -Pullover, eine blumenbedruckte Jeans und hängte mir einen weißen Riesenkragen um, der aussah wie diese Papierdinger unter Schwarzwälder Kirschtorten. Sie gab mir noch eine Flasche Cola und eine Tüte Erdnussflips mit, dann schickte sie mich in den Abgrund – in den Hobbykeller.
Ich hatte nur das Schlimmste befürchtet. Zu Recht: Ich überragte alle anderen um mindestens einen Kopf, die Jungs um zwei Köpfe. Alle hatten ihre Garderobe selbst wählen dürfen und sahen cool aus. Außerdem hatte Georg keine Zeit verloren: Es war erst zehn nach sieben, und picklige Pärchenknubbel schoben sich zur Musik von La Boom durch den Raum.
Ich riss den weißen Kragen ab (denn Georg hatte damals schon Schwarzlicht) und flüchtete in eine dunkle Ecke. Ich war sicher, niemand hatte mich gesehen. Meine Mutter erwartete mich frühestens um 21 Uhr zurück. Ich wollte mich für zwei Stunden hier verstecken und Erdnussflips essen. Ich riss die Tüte auf – ein Fehler. Eine mal sehr hohe, mal etwas tiefere Stimme neben mir fragte:
»Hallo … möchtest du nicht tanzen?«
Mir wurde heiß. Sehr heiß. Ich sah Georg am anderen Ende des Raumes, der mir anfeuernde Blicke zuwarf und beide Daumen hochhielt. Ich wollte alles tun, nur nicht mit diesem Jungen tanzen. Ich fand die Rettung. Ich sagte
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