Ich Ich Ich - wir inszenieren uns zu Tode
Gerichtsreporterin im Prozess gegen den Wettermoderator Jörg Kachelmann zu geben.
Leitmedium heißt: An Themen und Menschen, die dort groß präsentiert werden, meinen andere Medien nicht vorbeizukommen. Deshalb hat Bild großen Einfluss auf die öffentliche Meinung und damit auch auf die Karrieren von Prominenten. Sie kann ihnen ungeheuer nützen. Freunde des Hauses wie zum Beispiel Johannes B. Kerner, Til Schweiger, Franz Beckenbauer oder das Paar Carsten Maschmeyer und Veronica Ferres dürfen sich an freundlichen Schlagzeilen wärmen – auch wenn es mal nicht so gut für sie läuft.
Bei denen, die nicht wohlgelitten oder widerborstig sind, werden offenkundig andere Saiten aufgezogen. So fühlte sich Ottfried Fischer von einem Bild -Mitarbeiter, der im Besitz eines Videos war, das den fülligen Schauspieler in seiner Wohnung beim Sex mit zwei Prostituierten zeigt, regelrecht erpresst. Nach dem Motto: Entweder du kooperierst oder du bekommst Schwierigkeiten. Daraufhin fädelte Fischers PR-Agentin ein Interview mit der Zeitung ein, in dem der Düpierte zu der hochnotpeinlichen Angelegenheit auch noch exklusiv Stellung nahm. Demnach hatten die beiden Huren eine Absenz Fischers – »Das sündige Treiben macht müde und Parkinson, der dich manchmal plötzlich einschlafen lässt, besorgt den Rest« – genutzt, um seine Kreditkarte zu entwenden und 32.580 Euro abzubuchen. Der heimlich gedrehte Film habe den Frauen dazu gedient, sichgegenüber Fischer abzusichern. Als der dann trotzdem reklamierte, wurde das Video gegen ein Informationshonorar an den Bild -Mitarbeiter verkauft. Fischer stellte später Strafanzeige gegen den Journalisten, der in zweiter Instanz freigesprochen wurde – auch weil Fischers PR-Frau versicherte, der Mann habe keinen Druck ausgeübt. Daraufhin feuerte Fischer sie und ging, ebenso wie die Staatsanwaltschaft, in Revision. Mit Erfolg, der Prozess wird neu aufgerollt. Der Süddeutschen Zeitung sagte Fischer zu dem Fall, dass »so gut wie alle, die in der Öffentlichkeit stehen«, Angst vor der Bild hätten. Man habe ständig das Gefühl: »Die können dir was.«
Vielleicht gibt es deshalb kaum Personen des öffentlichen Lebens, die es wagen, sich mit Bild anzulegen oder sich dem Blatt systematisch verweigern wie etwa Stefan Raab oder Charlotte Roche. Viele bekannte Leute wie Philipp Lahm, Richard von Weizsäcker und Gregor Gysi ließen sich für die Imagekampagne des Blattes einspannen. Eine, die das Angebot öffentlich ablehnte, war Judith Holofernes von der Band Wir sind Helden . Sie beschied die verantwortliche Werbeagentur Jung von Matt brieflich: »Ich glaub, es hackt.«
Der größte Erfolg von Bild , Bunte & Co. war es, Geschäftsprinzipien des Showbusiness auf alle gesellschaftlichen Sphären zu übertragen. Egal ob Künstler, Sportler, Manager oder Politiker – die Figuren, die uns prominent in den Medien begegnen, gehorchen bestimmten Regeln. Sie zeigen sich auch von ihrer privaten Seite. Laden uns auch mal zu sich nach Hause ein. Manche lassen sich auf Schritt und Tritt begleiten. All dies war noch vor nicht allzu langer Zeit unüblich.
Die Wende stellte sich mit der Regierungsübernahme durch Gerhard Schröder im Jahr 1998 ein. Der Sozialdemokrat meinte, für seinen Job nur Bild , BamS und Glotze zu brauchen. Undfand zu Beginn seiner Amtszeit Gefallen daran, sich für die Medien wie ein Showstar aufzuführen. So posierte er als Genosse der Bosse in teuren Brioni-Anzügen und ließ sich bei Wetten, dass ..? sehen. Sein Vizekanzler, der damalige Bundesaußenminister Joschka Fischer, veröffentlichte ein Buch über seinen nur phasenweise erfolgreichen Kampf gegen die Pfunde (»Mein langer Lauf zu mir selbst«). Und auch der Verteidigungsminister Rudolf Scharping wollte mal locker erscheinen und ließ sich von der Bunten frisch verliebt mit der Gräfin Pilati im Pool auf Mallorca fotografieren – was keinen guten Eindruck machte und den Anfang vom Ende seiner Karriere als Politiker einläutete.
Diese Herren haben sich die 68er-Parole »Das Private ist politisch!« zu Herzen genommen. Etliche weitere Politiker, auch konservative, folgten ihrem Beispiel. So gestand Christian von Boetticher, damals Parteichef der CDU in Schleswig-Holstein – nachdem vermutlich Parteifreunde eine Beziehung von ihm zu einer 16-Jährigen ausgeplaudert hatten –, der Presse stotternd und unter Tränen: »Es war schlichtweg Liebe.« Und sein Parteifreund, der CDU-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Bosbach,
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