Ich kann so nicht mehr arbeiten!: Freude und Sinn statt Seeleninfarkt (German Edition)
in Egofallen, auch Managergruppen und ganze Unternehmen verfangen sich darin.
Bei Unternehmensintegrationen nach Fusionen oder Übernahmen können wir Ego-Ausgleichsszenarien über Monate oder gar Jahre beobachten, und zwar auf allen Unternehmensebenen. In einer länder- und kulturübergreifenden Unternehmensintegration in Europa galt es, eine neue Titulatur im Management einzuführen. Die Verantwortlichen wählten die amerikanische Bezeichnung VP für Vice President . Da dies zu vielfältigen Konflikten mit den bisherigen nationalen Titulaturen führte, führte der Aufsichtsrat per Beschluss in einem zweiten Schritt auch noch den Titel SVP, Senior Vice President ein, und das Drama nahm seinen Lauf. Diejenigen, die zunächst noch hoch erfreut über ihren neuen VP-Titel gewesen waren, fühlten sich nunmehr herabgestuft. Einige Senior Vice Presidents waren ihren neuen Aufgaben in dem deutlich größeren, internationaler und komplexer aufgestellten Unternehmen nicht gewachsen. Daher übten sie ein paar Monate später wieder Funktionen aus, die in der Hierarchie weiter unten angesiedelt waren. Einbußen im Vergütungspaket nahmen sie bereitwillig hin. Den Titel Senior Vice President wollten sie jedoch alle behalten, koste es, was es wolle.
Menschen identifizieren sich häufig mit einem akademischen Titel, den sie mehr oder weniger mühevoll erworben haben. Ist die akademische Würde endlich verliehen, halten sie sich für etwas Besseres und erwarten, stets mit dem Titel angesprochen zu werden. Und die »Nichttitelträger« beugen sich dieser Forderung und verbeugen sich innerlich gleich mit, weil sie das Gefühl haben, weniger wert zu sein. Wer nach der Hochschulausbildung ab Mitte dreißig voll im Berufsleben steht und erkennt, dass er mit einem Doktortitel in seiner Arbeitsumgebung besser vorankäme, der will auch einen. Aber wie soll er eine aufwendige wissenschaftliche Arbeit anfertigen, wenn er schon jetzt keine Zeit mehr hat für Privates? Also erwirbt er die akademische Würde weit weniger mühevoll und zeitaufwendig an einer ausländischen Hochschule, die gegen gutes Geld gnädig ist, bohrt in vielen Jahren mühevoller Nacht- und Wochenendarbeit ein ganz dünnes wissenschaftliches Brett oder engagiert einen Ghostwriter. Und bleibt so – entweder auf der Visitenkarte ersichtlich oder zumindest im Herzen gefühlt – mit einem Doktortitel zweiter Klasse hinter seinem Egobedürfnis zurück. Den totalen Gesichtsverlust erleben der Titelträger und sein Umfeld indes, wenn der Titel aberkannt wird, weil er unrechtmäßig erworben wurde. Dann bietet sich dem Titelträger keine gleich- oder höherwertigere Alternative mehr. Er verliert sein Ansehen in der Außenwelt, und um sich selbst zu schützen, stellt er sich fortan als Opfer dar. Die Opferrolle wird also zum Ersatzinhalt im Egotopf.
Ein weiterer, sehr beliebter Egoinhalt, ist die Zugehörigkeit zu einer Gruppe mit entsprechendem Status. Zahlreiche Traditionsunternehmen unterhielten in der Vergangenheit nicht nur eine Kantine, sondern auch eine Prokuristenkantine. Dort essen zu dürfen, gesehen zu werden und Neuigkeiten aus erster Hand zu erfahren, war für das Ego der meisten wichtiger als alle anderen Vorteile, das Gehalt eingeschlossen. Heute hat die Senator Lounge der Lufthansa die Funktion der Prokuristenkantine übernommen, während die HON Lounge das Vorstandskasino alter Herrlichkeit ersetzt. Als ich im Jahr 2009 nicht mehr so viel geflogen war wie zuvor und 2010 meinen Senatorstatus verlor, bot die Airline mir an, meine Senatorkarte für einen vierstelligen Eurobetrag zu verlängern. Ich kann mir vorstellen, dass die Fluggesellschaft mit diesem Angebot vielen Managern ihr Selbstwertgefühl zurückgegeben hat.
Verschlechtern sich die Äußerlichkeiten, an die Ihr Ego sein Herz gehängt hat, wechseln Sie spielend in die Opferrolle über.
Das Ego liebt die Opferrolle sogar ganz besonders, denn sie erscheint angenehmer als eine Rolle, in der man die Verantwortung für die eigene Situation selbst tragen muss. Doch meistens sind wir hier komplett schiefgewickelt. Denken Sie an das Meer und die Schaumkronen. Unsere Angst, nicht (mehr) gut genug zu sein, nicht liebenswert genug zu sein und nicht genug zu haben, lässt uns regelmäßig in die gleiche Falle tappen.
Das passierte auch Ronald, Produktionschef in einem Tochterunternehmen eines international tätigen Konsumgüterkonzerns. Ronald war außergewöhnlich intelligent, erfahren, engagiert und gut in dem
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