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Ich kann so nicht mehr arbeiten!: Freude und Sinn statt Seeleninfarkt (German Edition)

Ich kann so nicht mehr arbeiten!: Freude und Sinn statt Seeleninfarkt (German Edition)

Titel: Ich kann so nicht mehr arbeiten!: Freude und Sinn statt Seeleninfarkt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Violetta Jung
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Platz des Himmlischen Friedens wiesen die Steinplatten noch die schwarz-schmierigen Kettenspuren der Panzer auf, die den Freiheitsdrang der Studenten in Schach gehalten hatten. Die Menschen hatten als sichtbares Zeichen ihrer Gefühlslage einen versteinerten, angstverzerrten Ausdruck im Gesicht. Angesichts dieser gespenstischen Atmosphäre war ich heilfroh, nicht in Beijing bleiben zu müssen.
    Wuhan, die damals sechs Millionen Einwohner zählende, lärmende, stickige, brütend heiße und staubige Provinzhauptstadt am Yangtsekiang, liegt mehr als eintausend Kilometer südlich von Beijing. Mir war noch nicht einmal bekannt, dass es dort eine Universität mit einer angesehenen juristischen Fakultät gibt. Zunächst war ich wütend, enttäuscht und fest davon überzeugt, dass aus meiner Doktorarbeit nicht viel werden könne. Die Lebensumstände waren hier zwar weniger bedrohlich als in der Hauptstadt, aber die auf dem Uni-Campus stationierten Soldaten bereiteten mir permanentes Unbehagen, denn sie überwachten zusammen mit den Parteifunktionären alles und jeden rund um die Uhr. Meine Post wurde gelesen und chinesische Studenten, mit denen ich in Kontakt kam, mussten sich Aufpassern gegenüber ausweisen. Das ließ mich zögern, selbst auf sie zuzugehen, denn ich wollte sie nicht noch zusätzlich in Gefahr bringen. Alle meine Schritte wurden aufmerksam verfolgt, selbst wenn ich nur irgendwo hinging, um etwas Essbares zu organisieren. Und in der Tat ging es oft einfach nur um die Befriedigung ganz banaler Grundbedürfnisse wie Wärme oder Kühle und trinkbares Wasser. Bei minus 15°C im Winter und plus 45°C im Sommer war nichts selbstverständlich.
    Mit den Nachwirren des Studentenmassakers und der Alltagshärte vermochte ich mich zu arrangieren. In Wuhan angekommen, beklagte ich weiterhin die scheinbare berufliche Ungerechtigkeit, nicht in Beijing meinem Forschungsprojekt nachgehen zu können. Doch schon bald erwies sich meine Abschiebung nach Wuhan als wundersame Fügung. Denn hier begegnete ich jemandem, der mein Berufsleben und mein Weltbild entscheidend prägen sollte: Professor Han. Ein chinesischer Promotionsstudent, mit dem ich in den ersten Tagen Freundschaft geschlossen hatte, weil er mutig genug gewesen war, auf mich zuzugehen, brachte mich zu ihm nach Hause.
    Professor Han betreute mich während meines gesamten Jahres an der Universität und eröffnete mir eine neue Welt des Verstehens. Er war damals zweiundachtzig Jahre alt und gehörte zu den wenigen Chinesen, die mehrere Fremdsprachen beherrschten und im westlichen Ausland studiert und geforscht hatten. Und dennoch hatte er die Wirren der kommunistischen Kulturrevolution überlebt. Aufgrund seiner beruflichen Leistung auf dem Gebiet des internationalen Privatrechts war er auch außerhalb Chinas sehr hoch angesehen. Bei unseren zweiwöchentlichen Gesprächen in seinem Arbeitszimmer hatte ich stets einen fröhlichen, bescheidenen Mann vor mit, etwa eins sechzig groß mit schwarzen, zurückgekämmten Haaren, rechteckiger Hornbrille, weißem Hemd und dunkler Hose. Wir sprachen selten über den Inhalt meiner Doktorarbeit. Er war vielmehr entschlossen, meine Denkmuster zu erweitern, damit ich ganzheitlicher auf mich und die Welt schauen konnte. Professor Han war nämlich der Ansicht, dass ich meine Doktorarbeit meistern würde, sobald ich einen besseren Zugang nicht nur zu mir selbst, sondern auch zu Chinas Eigenheiten und seiner Komplexität gefunden hätte.
    Es brauchte einige Zeit, bis ich verstand, was Zugang zu mir selbst bedeutete. Ich sollte erst einmal verstehen, wer ich wirklich bin . Was blieb übrig, wenn ich all die Äußerlichkeiten und Attribute strich, über die ich mich intellektuell definierte? Es war mir peinlich, dass ich darauf keine Antwort parat hatte. Trotz all meiner Ausbildung, über die der ehrwürdige Duft von Kanzlei und Katheder schwebte, kam ich mir vor wie ein Einfaltspinsel.
    Fachwissen zu meiner Doktorarbeit stand in Büchern und Aufsätzen, aber die Theorie erwies sich als klitzekleiner Auszug dessen, was wirklich vor sich ging. Mit Professor Han sprach ich über die Volksrepublik China, die Not der Menschen, die hier lebten, ihren bleischweren Berufsalltag und die unvorstellbaren wirtschaftlichen Herausforderungen, die das Land zu bewältigen hatte. Wir redeten über die bedrückende Atmosphäre auf dem Campus, die Schießübungen des aus einfachen Bauernjungen bestehenden Bataillons, die Verhaftungen von Studenten und

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