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Ich klage an

Titel: Ich klage an Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayaan Hirsi Ali
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»Hausfrieden« nicht aus dem Gleichgewicht zu bringen, bis Du weg bist?
    Mach Dir klar, daß Du (vorläufig) nicht mehr zurückkeh-ren kannst, wenn Du Dein Zuhause erst einmal verlassen hast. Die wichtigste Frage, die Du Dir stellen mußt, ist also: Will ich wirklich weg?
    Du hast beschlossen, ein selbständiges Leben zu führen. Dafür mußt Du Vertrauen haben können. Erst einmal zu Dir selbst. Es werden Augenblicke der Unsicherheit und der Angst auf Dich zukommen. Manchmal sogar Augenblicke des Bedauerns. Das ist normal. Du bist schließlich im Begriff, Deine vertraute Umgebung (wie schrecklich diese auch sein mag) zu verlassen. Vielleicht wirst Du Deine Familie nie mehr Wiedersehen. Mach Dir klar, daß irgendwann einmal Zweifel an Dir nagen werden, präge Dir aber auch ein, daß das, was Du zu tun gedenkst, gut für Dich ist. Die Art, wie Du leben willst, läßt sich nicht mit den Vorstellungen kombinieren, die Deine Familie von Deinem Leben hat. Hab Vertrauen zu Dir.
    Du mußt auch Vertrauen zu anderen haben. Überleg Dir, wem Du vertrauen kannst. Wähle eine Person, die außerhalb Deiner Glaubensgemeinschaft steht, einen Erwachsenen, der sein eigenes Leben im Griff hat. Außerdem sollte es jemand sein, der Dir hilft, selbständig zu werden, und der Dir dabei das Gefühl gibt, daß Du alles richtig machst. Jemand, der Dich unterstützt und nicht für sich selbst in Anspruch nimmt. Jemand, bei dem Du Fehler machen darfst. So etwas wie »die böse Außenwelt« gibt es nicht. Mißtraue nichtjedem, sei aber kritisch und vorsichtig.
    Es ist für Dich von lebenswichtiger Bedeutung, daß Du Freunde gewinnst. Du bist im Begriff, Deine Familie zu verlassen. Ohne Freunde wirst Du nicht überleben. Schließe Freundschaften, lange bevor Du weggehst. Mit Menschen, denen Du vertrauen kannst. Du fängst ein neues Leben an -dazu gehören auch neue Menschen. Natürlich gibt es Verwandte oder Glaubensgenossen, die Deine Lage kennen und Dir versichern werden, daß sie Dich unterstützen wollen, aber es läßt sich keineswegs ausschließen, daß es in der Realität anders aussehen wird. Sie leben in Gemeinschaften und erzählen einander vieles. Selbst wenn Dich einer von ihnen versteht oder unterstützt, kann es passieren, daß er oder sie sich aus Versehen verplappert. Außerdem würdest Du diese Person mit einer doppelten Loyalität belasten. Ganz schnell könnten Deine Fluchtpläne so jedem zu Ohren kommen. Paß also gut auf. Ich sage nicht, daß Du keine muslimischen Freunde haben darfst, aber erzähle ihnen nichts von Deinen Auszugsplänen. Du darfst nicht das geringste Risiko einge-hen. Die Konsequenzen wären zu schwerwiegend für Dich.
    Freundschaft beruht auf Gegenseitigkeit. Investiere in Deine Freunde. Laß sie wissen, daß sie sich gegebenenfalls auch auf Dich verlassen und Deine Hilfe in Anspruch nehmen können. Da Deine neuen Freunde oft ein anderes Frauenbild haben, könnte es sein, daß sie Dich zuerst nicht verstehen. Erklär ihnen, wie in Deiner Familie und in Deiner Gemeinschaft über Schuld und Scham gedacht wird. Lerne, ehrlich zu sein. Du darfst Fehler zugeben, die Du gemacht hast; Du brauchst nicht zu lügen, wenn es um Jungs, Verabredungen oder ähnliches geht.
    Wenn Du wegläufst, brauchst Du eine Bleibe. Als Studentin oder Hausfrau hast Du nur ein niedriges oder gar kein Einkommen. Vielleicht hast Du ja noch nie über (eigenes) Geld verfügen können. Bei der Wohnungssuche mußt Du die Viertel meiden, in denen Leute wohnen, die Dich erkennen und Deine Eltern oder andere Familienangehörige informieren könnten. Da Du einerseits wenig Geld hast und andererseits aus Sicherheitsgründen Vorsicht walten lassen mußt, sind Deine Wahlmöglichkeiten ziemlich begrenzt. Bitte deshalb die Freunde und Bekannten, denen Du vertraust, rechtzeitig um Hilfe bei der Wohnungssuche.
    Universitätsstädte sind für Dich eine gute Alternative, weil es dort billigen, aber sicheren Wohnraum gibt. In Studentenwohnheimen wohnen fast nur Weiße, die Miete für ein Zimmer ist dort relativ niedrig. Ein Nachteil ist allerdings, daß Du an der Uni dieser Stadt immatrikuliert sein mußt, bevor Dir ein Zimmer in einem Studentenwohnheim zugeteilt wird. In einigen Städten gibt es einen weiteren Nachteil. Dort gibt es das Phänomen des »Vorsprechens«, das heißt die Bewohner der anderen Zimmer müssen einvernehmlich ein positives Urteil über einen möglichen neuen Mieter fällen. Es könnte Dir eventuell passieren, daß sie sich gegen

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