Ich klage an
Kontakte zu Menschen außerhalb dieses kleinen Kreises. Du willst reisen und die Welt entdecken. Du willst nicht den Rest Deines Lebens dazu verurteilt sein, Kinder für einen Mann zu gebären, den Du nicht liebst. Zu putzen, einzukaufen und dreimal am Tag zu kochen. An jedem Wochenende Tee zu machen und Kekse zu backen für fremde Leute, die nicht Dich besuchen kommen. Zu waschen, zu bügeln und über Stoffmuster für Vorhänge und das Säumen von Bettüchern zu reden. Du willst Deine Freizeit nicht mit Frauen verbringen, die ihr ganzes Leben lang die Köpfe zusammenstecken und immer nur tratschen. Du hast die Nase voll davon, daß Deine Schwestern und Kusinen ihre geistigen Fähigkeiten nur dazu benutzen, das x-te Backrezept zu perfektionieren. Du hast genug Hochzeiten erlebt, auf denen junge Frauen prahlen, aber nicht mit ihren Leistungen im Bereich der Kunst oder der Kultur, sondern mit den Henna-Tätowierungen, mit denen sie die Handflächen von Bräuten geschmückt haben, die schon längst wieder geschieden sind. Du bist Zeugin der Falle gewesen, in welche die Braut und der Bräutigam nach der feierlichen, drei Tage währenden Hochzeitsfeier geraten sind.
Du weißt, daß Du mehr verdient hast! Du denkst ständig an Deine Freiheit und träumst von ihr. Du willst auch mal ins Freie, die Sonne auf der Flaut und den Wind in den Haaren spüren. Du nimmst die häusliche Unterdrückung nicht mehr hin und hast beschlossen wegzulaufen. In diesem Fall könnten die folgenden Tips - falls Du selbst noch nicht darauf gekommen bist - vielleicht ganz nützlich sein.
Stell Dir die folgenden Fragen: Will ich wirklich weglaufen? Warum will ich weglaufen? Gibt es keine anderen Möglichkeiten? Überleg Dir, ob ein Vermittlungsversuch sinnvoll ist. Die Entscheidung, Dein Elternhaus oder das Haus Deines Mannes zu verlassen, muß triftigere Gründe haben als Deine Unzufriedenheit mit der derzeitigen Situation zu Hause. Ein Auszug hat für Dich nämlich schwerwiegende Konsequenzen. Vielleicht sogar schwerwiegendere, als wenn Du bleiben würdest. Darum ist es sehr wichtig, daß Du Dir genug Zeit nimmst, diese Fragen befriedigend zu beantworten. Ohne Zweifel liebst Du Deine Familie. Dein Schritt wird Deine Eltern traurig stimmen. Sie werden Dir vorwerfen, daß Du Schande über sie bringst und Dein Auszug Folgen für die ganze Familie hat. Deine Familie wird alles, aber auch alles daransetzen, Dich zur Rückkehr zu bewegen. Sie wird versuchen, Dich umzustimmen, sie wird Dir mit Ausstoßung, Verwünschung oder Gewaltanwendung drohen. Unterschätze diese emotionale und moralische Erpressung keinesfalls. »Seit Deinem Auszug ist Mama so krank geworden, daß sie nicht mehr schlafen kann« - derartige Vorwürfe wird man Dir an den Kopf werfen. Sei darauf vorbereitet.
Erkundige Dich nach Deinen Möglichkeiten. Prüfe Deine
Situation zu Hause genau. Erstelle in Gedanken eine Liste mit eventuellen Risiken. Du begibst Dich in große Gefahr, wenn Du eine vielköpfige Familie hast, der viele Männer angehören, die großen Wert auf ihre Ehre legen und strenggläubig sind. Das höchste Risiko gehst Du ein, wenn Dein Vater in dieser Familie eine wichtige Persönlichkeit ist. Du gehst ein geringeres Risiko ein, wenn Du zu einer Familie gehörst, die zwar großen Wert auf ihre Ehre legt, aber nur wenige Männer umfaßt. Aber unterschätze das Getratsche der Frauen nicht. Sie verpetzen alles und hetzen auf diese Weise die Männer gegen Dich auf.
Wenn Du Dir im klaren bist, wie die Gerüchteküche funktioniert, wer wen verpetzt und was auf Ablehnung stößt, kannst Du Dich davor schützen, indem Du dafür sorgst, daß Du nicht zum Objekt des Tratsches wirst. Dann hast Du eine Chance.
Mach Dir klar, wo Deine Schwächen liegen. Wie steht es mit Deiner Gesundheit? Was für ein Temperament hast Du? Bist Du eher jähzornig? Oder hast Du Dich gut im Griff und kannst Dich schnell einer neuen Situation anpassen? Mit Selbstbeherrschung hast Du mehr Chancen, gut vorbereitet zu verschwinden (und nicht gleich wieder aufzugeben). Vergiß eines nicht: Das kannst Du alles lernen.
Überleg Dir, wie Du Deinen geplanten Auszug möglichst lange geheimhalten kannst. Wieviel Zeit hast Du jeden Tag für Dich selbst? Fällt es Deiner Familie auf, wenn Du mal ein paar Stunden nicht da bist? Wie gut bist Du, wenn es darum geht, Dir glaubhafte Ausreden auszudenken oder Deinen Eltern das zu erzählen, was sie gerne hören? Mußt Du vielleicht ein Kopftuch tragen, um den
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