Ich krieg dich!: Menschen für sich gewinnen - Ein Ex-Agent verrät die besten Strategien (German Edition)
scharf geschossen, sondern geübt. So lernen Sie Ihre verschiedenen Positionen im Statusspiel kennen.
»Das Blickverhalten drückt auch den gesellschaftlichen Status einer Person aus. In einer Gruppe von Personen, die sich gegenseitig kennen, hat diejenige Person das größte Ansehen, die am meisten von anderen angeblickt wird. So kann
man feststellen, welche Person aus einer unbekannten Gruppe der informelle Führer ist. Jemand, der lange Blicke aussendet, wird als dominanter erlebt als jemand, der kurze Blicke sendet. Eine ausgiebige Verwendung des Blicks kann dazu dienen, eine dominante Beziehung aufzubauen. Ist die Beziehung stabil etabliert, reduziert die dominante Person ihre Blickhäufigkeit. Sie ist sich ihrer Dominanz quasi sicher und kann die Blickrate senken.«
Quelle: Nachrichtendienstpsychologie, Band 1
Aus dem Agentenhandbuch
Seien Sie sich darüber bewusst, dass in jeder Begegnung zwischen Menschen Status verhandelt wird.
Zeigen Sie sich flexibel in der Wahl Ihres Status.
Setzen Sie Ihren Status vorausschauend ein, um Ihre Ziele zu erreichen.
Die Bewährungsprobe
Die Köche mit den hohen weißen Mützen bereiteten die Eier und Steaks so zu, wie die vom Shoppen ermatteten Damen es wünschten. Tichow und ich blieben bei Kaffee. Er hatte diesmal zusätzlich Obstkuchen bestellt. Draußen regnete es in Strömen, was die Einkaufslaune der Kunden im KaDeWe in Berlin nur zu steigern schien, als könnten sie die Stadt trocken kaufen. Tichow und ich fielen auf. Es gab kaum Männer unter den Gästen, und wenn, dann waren sie über fünfzig und mit Tüten bepackt, die sie mürrisch hinter ihren Gattinnen hertrugen. Dennoch war es ein guter Treffpunkt — das KaDeWe ist alles andere als ein Szenetreff für kriminelle Russen.
Tichow allerdings war heute grantig. Er redete wenig und sah nicht gut aus. Dunkle Schatten lagen unter seinen Augen, in denen das Blau nicht leuchtete, sondern wässrig schwamm. Müde wirkte er. Meine Fragen beantwortete er mehr knurrend als sprechend. Ich ließ ihn erst einmal seinen Obstkuchen essen. Wahrscheinlich litt er am Verräterkomplex. Das ist eine weit verbreitete Krankheit unter V-Leuten. Jeden erwischt es, und nicht nur einmal. Der Verräterkomplex ist wie ein Virus, und wer mit dem Nachrichtendienst zusammenarbeitet, steckt sich früher oder später damit an. Hin und wieder bricht der Komplex aus. Und verschwindet dann auch wieder. Das ist Alltag in unserem Geschäft. Als Agenten verlieren wir in solchen Situationen keinesfalls den Überblick. Wir wissen, dass wir im Kontakt mit anderen Menschen auch mit Launen, Ängsten und Unwägbarkeiten konfrontiert sind. Gerade deshalb ist unsere konstante Souveränität und Loyalität so wichtig, um unser Gegenüber immer wieder auf sicheren Boden zu geleiten. Wir wissen, dass wir andere nicht mit Argumenten
überzeugen können, die uns selbst beeindrucken würden. Wir wissen, dass jeder Mensch anders tickt. Manchmal sieht die Welt nach einem Stück Obstkuchen schon wieder freundlicher aus. Manchmal.
Der Verräterkomplex
Unser Informant bewegt sich in einem enormen persönlichen Spannungsfeld. Wir haben ihn in die Situation gebracht, nach und nach zunehmend entlarvende Informationen über sein kriminelles Umfeld preiszugeben. Das ist Nestbeschmutzung, denn in diesem Umfeld hat er jahrelang gelebt, gearbeitet, Freundschaften gepflegt und Feindschaften erklärt – Letzteres bindet zuweilen sogar fester. In diesem Umfeld hat er seinen Lebensunterhalt verdient oder mitfinanziert, er kennt die Spielregeln und hat sich abgefunden mit einem Dasein am Rande oder jenseits der Legalität, in dem er eine gewisse Rolle und einen Status innehat, der ihm vielleicht sogar gefällt, ihm schmeichelt. Sein kriminelles Umfeld ist so etwas wie eine Familie für ihn geworden. Auch Unternehmen, die legal wirtschaften, haben es gern, wenn sich ihre Mitarbeiter als Mitglieder einer großen Familie fühlen. Denn seiner Familie gegenüber verhält man sich loyal. Man teilt ein Wertesystem und verrät es nicht. Genau das geschieht aber in der Beziehung zwischen V-Leuten und Nachrichtendienst und geht auch hartgesottenen Gesellen an die Substanz. Einer meiner besten V-Männer saß mir einmal mit einem einwöchigen Stoppelbart gegenüber und sagte: »Weißt du, Leo, warum ich nicht rasiert bin? Kann mich selber nicht im Spiegel sehen. Ich ertrage mich nicht.«
Solche Momente sind sehr schwer für V-Leute, denen das V, das ja für Vertrauen steht, plötzlich
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