Ich krieg die Krise! (German Edition)
der depressive Inhaber sich in der Mittagspause dazu entschlossen hatte, die Fritteuse auf unabsehbare Zeit durch seine eigene letzte Ölung unbrauchbar zu machen.
»Hallo, Sie da! Sind Sie zu beschäftigt oder was? Einen Chicken Tandoori Wrap, acht Mal gebratenen Reis und 14 Frühlingsrollen. Bitte!«
»Äh. Den Wrap und den Reis kann ich Ihnen machen, aber Frühlingsrollen sind aus.«
»Wie aus?«
»Na, aus halt – nicht da.«
»Ja. Und wo sind die hin?«
»Was weiß ich – die sind eben aus …«
»Ja sind die auf Kegeltour oder was? Jetzt hör mal zu, Kollege – wir sind acht Mann. Wir haben Mittagspause. Wir haben Hunger. Und wenn du kein Bock hast, mal ’n bisschen was zu arbeiten in deinem Geister-Restaurant hier, dann ist uns das scheißegal. Wir wollen jetzt 14 Frühlingsrollen. Mit doppelt Sambal Oelek. Und zwar bevor unsere Mittagspause vorbei ist. Und jetzt gib Gummi.«
Michael sah sich die Gruppe kurz genauer an. Acht muskulöse Männer, deren Stimmung stark zu kippen drohte. Was suchten die eigentlich hier? Jetzt mal ganz ehrlich – unabhängig von der momentan belegten Fritteuse. Was zum Geier suchten diese Typen hier? Hier arbeitete seit zwei Monaten keiner mehr. Hier gab’s überhaupt keine Arbeit. Das hier war arbeitsplatzmäßig die Wüste Gobi aus Stein.
In langweilig.
»Was suchen Sie eigentlich hier?«
Michael hatte es noch nie richtig hinbekommen, Fragen erst zu überdenken und dann zu stellen.
»Wie, was suchen wir hier? Ich glaube, es hackt. Was suchen denn die Leute sonst hier bei dir? Ich bestell was und dann essen wir. Das suchen wir bei dir! Also vorausgesetzt, du gehst jetzt endlich mal dazu über, eure ach so knusprigen Frühlingsrollen zu frittieren, die hier überall angepriesen werden. Ist das ungewohnt für dich? Kommt man hier sonst nur zum Labern hin oder was? Oder bist du für Frühlingsrollen nicht ausgebildet?«
In diesem Moment hörte Michael zum ersten Mal in seinem Leben eine Stimme aus dem Mikrophon des Drive-in-Schalters: »He, was ist denn da los? Kommt hier mal langsam jemand? Ein Mal Schweinefleisch süß-sauer, Menü 12: knusprige Ente und vier Frühlingsrollen, bitte. Hallo? Sind Sie eingeschlafen?«
Zusammengerechnet 18 Frühlingsrollen mittlerweile. Un-
fassbar. So viel hatte Michael noch nie in einer halben Stunde verkauft. Nicht mal, als der Laden noch einigermaßen gut lief. Also – sicherlich – heute würde er die auch nicht verkaufen. Aber schon die Möglichkeit dazu weckte in ihm ein Gefühl, wie es wohl normalerweise nur Goldgräbern und skrupelfreien Investmentbankern vorbehalten ist. 18 Frühlingsrollen, ein Mal Menü 12, acht Mal gebratener Reis, Schweinefleisch süß-sauer und ein Chicken Tandoori Wrap.
Wenn Herr Tran das noch hätte erleben dürfen, dann wäre in ihm sicherlich wieder der unbändige Geschäftsgeist aufgeflammt, der ihn damals von jeder Frühlingsrolle zur nächsten angetrieben hatte, als der Wok-Imbiss noch neu war. So verhinderte aber gerade Mr. Asia persönlich die Herstellung seiner Hauptspezialität. Und genauso den Tandoori, wie Michael missmutig feststellen musste, weil Trans massiger Körper vor dem Kühlschrank mit dem Wrapgemüse so fehlpositioniert liegen geblieben war, dass kein Mensch jemals in der Lage gewesen wäre, die Tür auch nur einen Spalt breit zu öffnen.
»Hör mal Freundchen, wenn’s hier nicht gleich was zu essen gibt, dann rappelt’s im Karton.«
18 Frühlingsrollen, dachte Michael. 18. Was hätte Herr Tran sich gefreut. Da sieht man mal, was passiert, wenn man den Aufschwung nicht abwartet. Wenn man die Hoffnung zu früh verliert und sich der Krise hingibt, ohne auf die Selbstgesundung der deutschen Wirtschaft zu vertrauen. Dann liegt man nämlich irgendwann in der Küche rum und verpasst das Geschäft seines Lebens.
Wieder ertönte das Drive-in-Mikrofon: »Ey, Leute, gleich fahr’n wir weiter. Was is’n das für’n Laden hier?!? EIN MAL MENÜ 12: KNUSPRIGE ENTE, SCHWEINEFLEISCH SÜSS-SAUER UND VIER FRÜHLINGSROLLEN ! IST DA ÜBERHAUPT WER DRIN BEI EUCH ???«
Michael fasste einen Entschluss. Auf diese Weise wollte er den Todestag seines ehemaligen Arbeitgebers nicht verstreichen lassen. Das war nicht drin. Hier galt es, einem mutigen Unternehmer posthum die Ehre zu erweisen, die er verdiente.
Michael musste irgendwie an Herrn Tran vorbeifrittieren.
Er ging zur Kasse.
»Alles klar, mein Herr. 14 Frühlingsrollen und acht Mal gebratenen Reis«, bediente er zunächst die
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