Ich lege Rosen auf mein Grab
Geliebten, heilte seine Wunden, seine kranke Seele, war Trost für eine Kindheit, die verloren, eine Jugend, die nur voller Leiden war, glich alles wieder aus.
«Das Schicksal wirbelt nicht nur», lachte er, «alle herum, es hobelt auch – uns alle gleich. Nun sitz ich hier, ein Knacki, in Lumpen gehüllt, und du kommst als Prinzessin her…»
Kassau schlug mit der flachen Hand gegen die Tür. «Besuchszeit ist zu Ende!»
Sie küßte ihn, als sie ging.
Für den Übergang des Bewußtseinszustandes Jossa in den Bewußtseinszustand Mugalle, der sich da ganz kontinuierlich im Körper und in der Zelle des Häftlings vollzog, war das Erscheinen der Eva Schauß sicher die entscheidende Akzeleration.
Es war die simple Einsicht noch stärker geworden, die ihm sagte, daß ein Leben als Mugalle allemal besser sei als die Fortsetzung seiner miesen Jossa-Existenz; es war da ein unheimlich prickelnder Reiz: Spieler wollte er sein, Hochstapler, ein Glücksritter eben. Aber nicht ohne festen Halt ziellos umherstreifen, sondern das Land von einer sicheren Festung aus systematisch erobern: Eva bot sie ihm, bot ihm das gemachte Nest. Sie selber köstlich, verlockend ihr Bett und ihr ererbter Heimwerkermarkt die große Chance, alsbald und schnell zu Geld zu kommen, nicht mehr bei den Zeitungsleuten um Jobs betteln zu müssen. Das Mugalle-Sein also als das berühmte große Los für ihn, besser hatte es nicht kommen können, brachte mit Eva Kopf und Bauch prächtig zusammen.
Ganz abgesehen aber davon: Sein Organismus wurde ja Tag für Tag automatisch und mechanisch darauf abgerichtet, Mugalle zu sein; und in tausend kleinen Akten vollzog sich sehr kunstgerecht seine absolute Konditionierung. Immer, wenn er sich als Mugalle gab, sich, wie es von Mugalle erwartet wurde, verhielt, auf den Reiz «Mugalle» so reagierte, wie die Beamten es wollten, wurde er belohnt, mit Vergünstigungen wie Urlaub und dergleichen bedacht, durfte schließlich gar als Kalfaktor unten in der Küche wirken, ein «Ersatzpapst» sein. Beharrte er hingegen darauf, Jens-Otto Jossa zu sein, wurde er ständig bestraft, in Dr. Seelings Sprache «mit negativen Stimuli bedacht», das heißt, er bekam seine Privilegien gestrichen, wurde in den Anstaltsbunker gesperrt oder mit der Drohung, in die Psychiatrie abgeschoben zu werden, über alle Maßen geschockt. Nun wissen wir, daß ein Lebewesen in aller Regel jene Verhaltensweisen wiederholt, für die es belohnt wird, und die unterläßt, für die man es bestraft. Kein Wunder, daß da im Laufe der Zeit aus dem Jossa langsam aber sicher der Mugalle wurde.
Sicher gab es zwischendurch immer wieder Phasen, wo er sich dagegen auflehnte, aber war es am ersten Tage wie ein Wirbelsturm gewesen, so schien es ihm nach einem halben Jahr Bad Brammermoor höchstens wie ein leichter Wind, was ihn da bewegte. Da war er einem Auswanderer gleich, der sich nach langen Jahren in New York durch und durch als Amerikaner fühlt und gibt, die neue Sprache voll beherrscht, die alte aber kaum mehr sprechen kann, ohne nach manchen Wörtern suchen zu müssen und den bekannten Tonfall und Akzent vermeiden zu können: Uir gäihen zu die Car hinunter. In den Papieren steht zwar geschrieben, daß er einmal Deutscher war, aber er muß es nachlesen, um es glauben zu können, hält es recht eigentlich für einen Traum, für faktisch ausgeschlossen, nicht immer hier gelebt zu haben.
Dazu kam, daß er Mugalle sehr bewunderte, als Vorbild für sich nahm, eins sein wollte mit diesem Abenteurer, diesem Luftikus und Musketier, diesem – trotz allem – Erfolgsmenschen mit seinen irgendwo versteckten Millionen. Das Leben dieses Mannes: ein Feuerwerk; sein eigenes: ein flackerndes Zündhölzchen nur.
Ich bin erst wer, wenn ich Mugalle bin!
Und immer wieder las er Mugalles FAZ-Fragebogen und simulierte dessen Leben.
Mugalle sitzt im Herrenzimmer seiner Villa, hört den «Bolero», und liest dabei ein Buch über den Aufstieg der Fugger und deren Macht über den Kaiser.
Mugalle steht am Kreppbach, am Cafe Ingeborg, unterhalb von Grainau, und angelt Forellen.
Mugalle geht durch das Victoria and Albert Museum in London und besieht sich John Constables Bilder, das Haus von W. Lott, unter anderen.
Mugalle sucht am Wegesrand nach violetten Blumen, pflückt einen Bund von Ruprechtskraut, Stinkendem Storchenschnabel.
Immer ist er dieser Mann, hört er diese Musik, verspürt er den Triumph beim Anbeißen eines Fisches, lebt er sich in die Welt des britischen
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