Ich lege Rosen auf mein Grab
Freut mich, daß Sie da aus Ihrem Tief wieder rausgekommen sind. Ihre dreißig Monate haben Sie ja wirklich tapfer abgesessen, alles was recht ist! Dann alles Gute für Sie, für Ihren Lebensweg noch…!»
«Herzlichen Dank auch, Herr Kassau! Für Ihre guten Wünsche und das andere alles, daß Sie, wie sagt man, immer Mensch geblieben sind…!»
Ein langer Händedruck.
Die letzten Unterschriften, die letzten Papiere, dann glitt die Stahltür in die Mauer, diesmal für ihn.
Mit einem schnellen Schritt war er draußen; MUGALLE war frei.
Staunend stand er da, unfähig zu jeder Bewegung, konnte es nicht fassen. Alles war so fremd. Aha, die Welt draußen, die gab es wirklich noch, das war nicht alles nur Produkt von Phantasie und Sehnsucht gewesen.
Ein Astronaut, lange allein in seiner engen Kapsel, hatte einen fremden Planeten erreicht.
Unsinn, da hinten, einen Steinwurf entfernt lag die Stadt, lag Bramme.
Lag es wirklich da? Gab es noch immer Menschen in den Häusern dort? Stand ihr Rathaus noch?
Fragen, die ihn bewegten, auf die er keine Antwort wußte. Zum Kind war er wieder geworden, hatte jede Gewißheit über Daten und Fakten verloren. Zweifelte an allem, was er früher einmal durchlebt und in sich eingespeichert hatte. Wie ein Kind, ja, er mußte alles wieder neu erobern, mit den Füßen spüren oder mit Bahn und Auto erfahren, mit den Händen greifen, um zu begreifen, daß es wirklich existierte.
Da hielt ein blauer BMW dicht vor seinem Pappkarton, und Eva sprang heraus.
«Entschuldige, ein Stau!» Sie hielt ihm einen großen Strauß entgegen, siebzehn rote Rosen für ihn. «Willkommen im Leben, willkommen bei mir.» Sie umarmte ihn lange, hüllte ihn in eine Wolke von Sandelholz und anderen göttlichen Essenzen, küßte ihn so lange, bis die Knackis in den Fenstern hinter ihnen schon schrien und grölten. «Schnell nach Hause!»
Sie fuhren durch Bramme hindurch, dann auf die Autobahn hinauf, und MUGALLE glaubte, im Gemeinschaftsraum der JVA vor dem großen Fernseher zu sitzen und diese Fahrt allein per Kamera zu machen.
«Alles so unwirklich», sagte er.
Sie lachte. «… denn ein Traum ist alles Leben, und die Träume selbst ein Traum! Calderon. Wir sollten bald mal ins Theater gehen.»
MUGALLE sah sie an. «Handelt mit Kloschüsseln und ist derart gebildet…!»
«Ich hatte sieben Semester Deutsch und Kunstgeschichte studiert, ehe ich geheiratet habe.»
«Und warum?»
«Studiert oder geheiratet?»
«Geheiratet.»
«Ich weiß nicht. Weil’s wohl mal sein mußte. Ich hatte Angst, mein Examen zu machen, keine Lust, mich tatsächlich von pubertären Knaben verarschen zu lassen, als Lehrerin…»
«Das klingt aber nicht nach höherer Tochter!»
«Du, ich bin die Chefin von neun Männern, die alle nicht in Jamben sprechen.»
«Also nichts mit Lehrerin…?»
«Nein…» Sie konzentrierte sich aufs Überholen. «Was singt die da immer im Radio, die Gitte: Ich will alles, und zwar sofort. Das wollte ich auch, doch ich wußte leider nicht, was das war: alles. Jedenfalls war das ein unerträglicher Schwebezustand. Wäre einer gekommen und hätte gesagt, ich soll Nutte im ‹Funny›-Club in Hamburg werden, wär ich auf der Stelle mitgegangen. Kam aber Uwe, du weißt, der Lange aus der Parallelklasse, unser Superbasketballer, und hat mich zum Spiel nach Leverkusen mitgenommen. Heiraten war idiotisch, aber es war wenigstens was. Zwei Tage später, und ich war beim Rauschgift gelandet, so war es nur das Rattengift…»
«Wie, Rattengift…?»
«Ja, er hatte sein Studium grad abgebrochen, Maschinenbau, um mehr Zeit für’n Basketball zu haben, und da hat ihm ein Mäzen seines Vereins einen Job bei seinem Bruder verschafft: und der war leider Kammerjäger. Später hatten wir denn unsern Blumenladen, und schließlich hat’s dann zu dem kleinen Baumarkt in Bremen gereicht.»
«Von Kindern hast du mir nie was erzählt…?» Eine Frage, die ihn sehr beschäftigte.
«Kinder, nein. Uwe hatte irgendeine Schwäche mit den Samenfäden; an mir hat’s nicht gelegen…»
Unwillkürlich sah er auf ihre Knie hinunter, die Schenkel hinauf, die vom engen Lederrock gehörig freigegeben wurden.
Sie bemerkte es, und es machte sie nervös; viel zu lange blieb sie auf der linken Seite, hupte einen Wagen an, der auch schon 150 fuhr.
«Woran ist er denn gestorben?»
Sie zögerte unmerklich. «Uwe…? Der, der ist bei einem Verkehrsunfall…»
«Ich hoffe, du ersparst mit dieses Schicksal jetzt.»
«Ja,
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