Ich liebe dich nicht, aber ich möchte es mal können
einstimmig die Rolle des königlichen Rates zugesprochen. An der Universität erwartete man eine einschlägige Karriere von mir.
Als ich Mitte zwanzig war, sagte meine eigene Mutter mal zu mir: »Hübsch bist du nicht, aber du kannst was aus dir machen.« Sie meinte vermutlich Make-up und ein wenig Flirt-Training. Ich dachte an einen akademischen Grad. Den hatte ich dann ja auch. Dazu eine tote Ehe und einen Stall voller Selbstzweifel. Es war, mit oder ohne Simon, Zeit, dass ich eine Frau, dass ich ein erwachsener Mensch wurde. Es war Zeit, dass ich mehr wurde als nur klug, zumindest ein wenig lebensklug.
Durch Simon begann ich, dem allem mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Das hat viele, bunt durcheinandergehende Gründe.
Zum einen hat Simon mir klargemacht, wie wichtig es ist, jemanden zu lieben, zu halten, zu akzeptieren mit aller Kraft. Er hat mich weicher gemacht, geduldiger und verständnisvoller.
Zum anderen wieder saugt er mich so aus, dass ich gezwungen bin, ernsthaft darüber nachzudenken, was ich vom Leben will und erwarte. Denn von alleine passiert nichts. Wenn ich lachen will, neugierig sein, mich öffnen will für andere Menschen, dann muss ich das selbst und jetzt tun. Oder gar nicht.
Zum Dritten hat Simon mir viel von meiner Lebensangst genommen. Was sollte mir denn jetzt noch zustoÃen? Was sollte mir denn noch passieren, was schlimmer sein konnte? Tatsächlich waren sowohl meine Arachnophobie als auch die Flug- und Reiseangst eines Tages einfach weg. Ich erschlage inzwischen Spinnen, als wäre es nichts â sogar mit meinen eigenen Schuhen! â und steige fast problemlos in Flugzeuge. Geheilt, weil ich ganz einfach andere Sorgen habe.
Also wagte ich es jetzt auch öfter, meinen Mund aufzumachen und etwas Spontanes zu sagen, mal jemanden anzusprechen, eine Frage zu stellen, einen Spruch loszulassen, auch mal zu riskieren, dumm dazustehen.
Ich hatte mein Leben unauffällig hinter Büchern verbringen wollen. Das konnte ich vergessen. Simon und ich, wir fallen auf wie bunte Hunde. Und Simon braucht mich. Er braucht einen Verteidiger, einen Dolmetscher, einen Brückenbauer, eine Puffmutter des sozialen Kontaktes, einen Ritter in silberner Rüstung, einen Entertainer, einen Kumpel, der sich mehr traut als er, einen Menschen, der ihm die Welt bringt, der ist, was er nicht sein kann, einen, der die Menschen für ihn gewinnt und sie lockt. Graue Mäuse voller Angst, die braucht er nicht.
Für meinen Sohn und für mich: Ich wollte offener werden, extrovertierter und charismatischer. Lebenslustiger und eigenständiger. So vieles, was ich nie gewagt, aber heimlich ersehnt habe.
Für mich und für meinen Sohn: Ich konnte mich der Welt gegenüber nicht weiter in meinen Panzer aus Arroganz und Lebensangst verkriechen. Simon braucht jemanden, der da ist und wahrgenommen wird. Jemanden, der connectet, wo er nicht connecten kann. Der gemocht wird, wo er nicht um Sympathien werben kann. Jemanden, der sich und dem Leben vertraut, wo er nicht vertrauen kann, und der das auch ausstrahlt.
Für Simon wollte ich heil werden und stark und warm und sicher. Trotz Simon wollte ich lebensfroh werden und echt und funkelnd. Für mich wollte ich endlich ich werden. Vielleicht ein bisschen viel auf einmal. Aber im Ansatz nicht schlecht.
In meinem Fall brauchte es wohl so drastische MaÃnahmen wie ein autistisches Kind, damit ich mich endlich auf den Weg machte.
Ach ja, noch ein Bonus: Sie werden der Oberphilosoph schlechthin, denn Ihr Leben lang treibt Sie die wichtigste aller Fragen um: warum?
Bei den Philosophen können Sie nachlesen, was unsere auf Spaà und Fortschritt basierende, alles optimierende, alles versprechende, vieles verdrängende Gesellschaft so gerne vergisst: dass unser Leben nicht auf Gewissheiten gebaut ist. Keine Versicherung hilft gegen Schicksalsschläge; viel weniger, als man denkt, ist planbar. Nicht für alle Probleme gibt es eine Lösung. Und ein glückliches Leben ist nicht nur eine Frage der Wahl der richtigen Bank. Wir eifrigen Selbstoptimierer auf der gesetzlich freigegebenen Suche nach Glück vergessen gerne, dass es so etwas wie Schicksal gibt.
Pascal definiert den Menschen im Gegenteil über seine Haltlosigkeit: Der Tod kann kommen, jede Sekunde, ohne Vorwarnung. Wir wissen nichts, nicht einmal, ob wir morgen noch da sein werden. Unheil kann kommen, und wir wissen nicht, wann und warum. Krankheit gehört
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