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Ich liebe dich nicht, aber ich möchte es mal können

Titel: Ich liebe dich nicht, aber ich möchte es mal können Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tessa Korber
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Oder: »Ja, was meinst du denn, bin ich eine?« (Keine Antwort). Oder, irgendwann: »Das habe ich doch schon gesagt, Himmelherrgott, jetzt frag doch nicht tausendmal!« Er fragte wieder. Und ich frage mich, wie wir diese Tage herumgebracht haben.
    Wenn ich mich dann auf die Toilette flüchtete, den einzigen Ort, der etwas Ruhe versprach, hämmerte er gegen die Tür und schrie: »Mama!« Nach einer Weile schaffte ich es nicht mehr, im Strahl zu pinkeln, genau wie ein prostatakranker Greis.
    Manchmal, wenn mein Mann abends nach Hause kam, war ich so überreizt, dass ich nur noch sagte: »Nimm ihn von meinem Körper weg.« Dann zog ich mich ins Schlafzimmer zurück, um nach kurzer Zeit zu hören, wie Simon von seinem Vater angebrüllt wurde, der nach der Arbeit auch nicht mehr viel Geduld hatte, zudem von meiner Hysterie angesteckt war, und auf diffuse Weise wohl auch das Kind dafür strafen wollte, dass es mich so fertiggemacht hatte. Jetzt sollte es sich bitte schön benehmen.
    Aber Anschreien war sinnlos, das hatte ich schon gelernt. Jede Art von Emotion war sinnlos. Man musste emotionslos sein, ruhig, zurückgenommen bis zur Selbstaufgabe. Es gab nicht die eigene Langeweile, den eigenen Frust, die Unlust, die Verlorenheit oder die Aggression. Es gab nur Simon, seine Sturheit, seine Angst und seine Wut. Also ging ich wieder hinunter, schrie meinerseits – ganz toll – meinen Mann an und übernahm das Joch erneut.
    Ich bin heute noch allergisch dagegen, dass jemand mich durch die Toilettentür hindurch anspricht. Auf der Toilette will ich meine Ruhe, sonst werde ich regelrecht hysterisch. Und Spieleabende kosten mich immer noch Überwindung. Für mich bleibt Spiel verbunden mit lähmender Langeweile, Arbeit und Frust. Von wegen Schiller: Der Mensch ist nur da ganz Mensch, wo er spielt. Unsere Spielerei war eine unmenschliche Veranstaltung. Spielen, das braucht kein Schwein, hören Sie mir bloß auf damit.

Die stille Kerze neben dem brennenden Topf
    Jonathan ist dreizehn, als Simon mit sieben Jahren seine Diagnose bekommt. Da hat er schon Jahre hinter sich, in denen er erleben musste, wie sein kleiner Bruder immer wieder hinter seinen Erregungszuständen verschwindet, im Kreis läuft, aufschreit, sich schlägt und durch keine Ansprache mehr zu erreichen ist. Er sieht darin weniger eine Krankheit als etwas, das sich seines Bruders bemächtigt hat, eine fremde Macht, die nun mit ihm und durch ihn kämpft – vor allem mit uns. Er nennt sie Werner.
    Und er glaubt, dass Werner uns vernichten will.
    Eines Nachts vertraut er mir an, er habe zeitweise zu einem Gott gebetet, vorzugsweise, wenn wieder einmal eine seiner Katzen verschwunden war. Wir hatten zu der Zeit stets mehrere Tiere, zweimal warf unsere Katze Marie, beide Male übrigens in Jonathans Bett, quasi auf ihm drauf; er wurde vom Maunzen des Erstgeborenen wach.
    Unsere Katzen waren allesamt Freigänger. Leider wurden die meisten Opfer der nahen Durchgangsstraße, wir hatten schon mehr als eine gemeinsam begraben. Und so war es immer eine große Aufregung, wenn einmal eine von ihnen nicht nach Hause kam. Wir gingen sofort die Straßenränder ab, in der Hoffnung, sie nicht dort liegen zu sehen, wir riefen und suchten. Und Jonathan also betete.
    Das war ungewöhnlich, denn er stammt aus einem Agnostikerhaushalt, und obwohl er in der Grundschule den Religionsunterricht besuchte, entschied er sich mit dem Eintritt ins Gymnasium frohen Herzens für Ethik. Wir hatten uns über Gott, die Seele und die Unsterblichkeit unterhalten, seit er vier war, ein naheliegendes Thema, da der tägliche Weg zu seinem Kindergarten über den Friedhof geführt hatte. Auch deshalb, weil Jonathan ein philosophisch veranlagter Mensch war, von Anfang an. Altklug, differenziert, ein wenig theoretisch. Religiöse Romantik lag ihm ebenso fern wie starke Gefühlsaufwallungen, die er sich nur sehr, sehr selten erlaubte.
    Jetzt sagte Jonathan, er habe diesem Gott Dinge angeboten, wenn er ihm nur seine geliebten Tiere wiederbrächte: den Verzicht auf sein Computerspielen, auf Fernsehen oder Playstation, das Versprechen, sich künftig besser um die Katzen zu kümmern. Irgendwann habe er auch begonnen, für Simon in dieser Weise zu beten.
    So weit war mir das vertraut; wer von uns hat nicht derartige kindliche Bestechungsgebete geführt, berauscht von der Kraft der eigenen Bitten, bis man

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