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Ich liebe dich nicht, aber ich möchte es mal können

Titel: Ich liebe dich nicht, aber ich möchte es mal können Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tessa Korber
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fand tatsächlich noch mal statt! Ich fasste es nicht. Aber ich sollte mich daran gewöhnen.
    Froh, etwas gefunden zu haben, was Simon wirklich zu wollen schien, erwarben wir auf Flohmärkten alle vier Figuren, teils aus Plüsch, teils aus Plastik. Die schmiss Simon dann, etwas anderes tat er mit Figuren oder Puppen nie, vom Trampolin aus begeistert und frohgemut in den Garten. Der abschüssig war und wild bewuchert. Natürlich wollte er sie danach umgehend wiederhaben. Und natürlich war ich es, die ins Dickicht kroch, und sie wiederbeschaffte. Man musste höllisch aufpassen, dass man mitbekam, wo er sie hinwarf, weil er einem die Stelle nicht selbst bezeichnen konnte. Trotzdem war es manchmal schwierig. Über der Suche nach dem kleinen – grünen! – Plastik-Tinkywinky verging einmal eine halbe Stunde, der pure Horror, das Kind schrie und heulte, ich wühlte, die Panik im Nacken, denn ich wusste, wenn die Figur nicht wieder auftauchte, war seine Welt aus dem Gleichgewicht. Er würde nicht aufhören zu toben, würde nicht schlafen, ich würde nicht schlafen. Es war schlimmer als Feueralarm. Als mein Mann um sechs kam, beteiligte er sich an der Suche zwischen den zahllosen Bodendeckern, bis es dunkel wurde. Fragen Sie nicht, wie wir die Nacht überstanden haben.
    Nur geringfügig weniger Stress verursachten die Wimmelbilder in dem Buch »Wo ist Walter« und seinen vier Fortsetzungen. Natürlich musste Walter gefunden werden, unbedingt, samt seiner Gefährten und der ganzen fitzelig winzigen Accessoires, da gab es keine Kompromisse, egal, ob uns dabei die Augen übergingen oder nicht. Erst wenn der letzte rotweiß gestreifte Hundeschwanz gefunden war, dann war die Welt wieder im Lot und es konnte umgeblättert werden. Einmal begonnen, saß man in der Falle, und suchte im Schweiße seines Angesichts, mit müden Augen und mühsam unterdrückter Panik nach irgendeinem blödsinnigen Detail.
    Warum man das macht? Schwer nachzuvollziehen im Rückblick. Aber bringen Sie mal acht Stunden mit einem Kind zu, das nichts tut und nichts spricht, nichts will und auf nichts anspringt, während sich die Zeit lähmend zieht. Stellen Sie sich vor, wie dankbar Sie sind, dass es überhaupt etwas gibt, das dieses Kind möchte. Nach dem es verlangt, etwas, das seine Aufmerksamkeit weckt und – sei es auch nur für kurze Zeit – bindet. Das es nachweislich erfreut. Etwas, das Ihnen das Gefühl gibt, für eine Weile mit Ihrem Kind in ein und derselben Welt zu sein. Auch wenn es eine sehr anstrengende Welt ist.
    Irgendwann begann ich trotzdem ganz grundsätzlich am Sinn meines Tuns zu zweifeln: Wenn Spielen keinen Spaß machte und kein Interesse hervorrief, wozu tat man es dann überhaupt? Musste ein Kind spielen?
    Andererseits: Ich konnte ihn doch auch nicht einfach laufen lassen, in sein Gebrabbel versunken, hüpfend oder schaukelnd oder an mich geschmiegt, je nachdem. Er musste doch etwas lernen! Er musste sich doch beschäftigen! Gab es nicht so etwas Bedrohliches wie Entwicklungsfenster?
    Simon verlangte ja auch, in gewisser Weise, danach, dass man sich mit ihm abgab. Einfach alleine lassen konnte man ihn nicht; er sorgte auf seine Weise dafür, dass er immer im Fokus stand. Die Langeweile, die wir teilten, war von dauerhafter Anspannung, von einer bis zum Zerreißen gespannten Leere erfüllt.
    Räumliche Anwesenheit war Pflicht. Er verstand und akzeptierte selbst kleine Abwesenheiten nicht, und wenn ich tausendmal sagte: »Bin gleich wieder da.« Wenn ich die Einkäufe aus dem Auto holte und den langen Gartenweg zum Haus hochtrug, rannte er mir schreiend und heulend nach, zum Auto und zurück, bei jeder Ladung, jedes Mal, obwohl wir das mehrmals die Woche machten. Ich absolvierte das Gerenne dann immer im Laufschritt, schleppte und tröstete abwechselnd und konnte seine Ausbrüche doch nie verhindern.
    Geistige Anwesenheit war ebenso wichtig. Meine Aufmerksamkeit musste ganz auf ihn gerichtet sein, er spürte es sofort, wenn ich mit den Gedanken woanders war. Wenn ich las oder gar etwas arbeitete, ging er dazwischen. Dann band er mich endlos mit Fragen wie: »Bist du eine Treppe?«. Das heißt: Er stellte diese Fragen in Sekundenabständen, egal, was ich antwortete: »Nein« oder »Nein, ich bin deine Mama« oder »Ja, guck mal, du kannst an mir rauflaufen, magst du?« (Natürlich nicht).

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