Ich liebe dich nicht, aber ich möchte es mal können
Nachrichten: Der Verlag will den Autisten-Krimi haben; sie werden bieten. Jetzt kann es natürlich noch sein, dass sie eine beleidigende Summe anbieten, aber ich bin ja fast nicht mehr beleidigbar. Und gerade der Krimi liegt mir am Herzen, denn autismustechnisch ist Bayern ein Entwicklungsgebiet. Wenn es mir gelingt, Autismus hier zu einem Thema zu machen, kann ich damit etwas für Simons Belange tun. Das wäre mir wichtig.
Am nächsten Tag dann kam das Schreiben vom Landratsamt/Jugendamt; sie haben meinem Widerspruch stattgegeben und bewilligen bis Dezember jetzt wieder unsere bisherige Therapiestundenzahl. Ihr Arschlöcher, dachte ich mir und reckte die Faust. All der Schrecken, die Wut, die viele Mühe mit den Präzedenzurteilen und Infotexten, die ich gelesen habe, bis ich meinen schönen Dreiseitenbrief mit perfekter, juristisch wasserdichter Argumentation beisammenhatte. Die Angst um Simon und vor der Zukunft. Und einfach nur, weil sie es halt mal versucht haben. Jeder spart ja heutzutage. Und im Dezember das Ganze dann wieder. Arschlöcher. Ich werde sie im Dezember wieder mit Gutachten bombardieren und mit Argumenten eindecken. Und notfalls schreibe ich wieder an den Landrat. Ich hasse sie alle, alle.
Andererseits, zwei Triumphe am Stück, ich sollte mich freuen. Hab ich auch ein bisschen.
Freitag hab ich Vreni vom Zug abgeholt. Ich musste mit Simon eine halbe Stunde auf sie warten, nachdem wir vorher schon in der Bücherei und bei McDonaldâs gewesen waren, das war zäh, aber er hat sich groÃartig gehalten und flippte nicht aus. Wir sind ein wenig spaziert, sind gerannt, haben über Züge geredet und über Geschwister. Vreni ist Christophs Schwester, das weià Simon, deshalb tituliert er sie manchmal als seine Schwester. Ich hab ihm erklärt, dass er keine hat, jetzt will er eine. Aber das wird nicht mehr passieren, thanks to god.
Nahm Vrenis halbmannshohe Zitronenverbene in Pflege, die morgen Gabi zum 50. als Geschenk überreicht werden soll, zusammen mit einem selbstgetexteten Lied über Zitronenverbenentee. Ich stelle sie in die Garage, wo sie prompt ihren ganzen Duft entfaltet. Anderntags bin ich unterwegs, um für Gabi noch eine weibliche Kiwi zu kaufen, da sie schon eine einsame männliche Pflanze besitzt. Leider bieten alle Kiwis inzwischen als zweigeschlechtliche Pflanze an, Unisex, wenn das die Zukunft ist, dann sehe ich schwarz für mich. Wird Gabis Kiwimann sich damit begnügen müssen, in einer Ménage à trois zu leben. Ich binde frische Kiwis mit rosa und blauen Schleifchen dran fest und bringe Simon zu seinem Vater. Die Feier wäre nichts für ihn.
Samstag, 18. 7. 2010
Heute ist das groÃe Ereignis, das Sommerfest von Simons ehemaligem Kindergarten. Es findet auf der Kirschbaumwiese bei Weiher statt, wie immer. Und wie immer bei Regen und Sturm, wie es aussieht. Simon ist voller Vorfreude, er lacht und hüpft und wedelt mit den Händen. Unmöglich, etwas anderes mit ihm zu tun, als zu warten. Warten füllt ihn vollkommen aus. Er kann und will nichts anderes tun. Als es nur noch eine Stunde dauert und ich das angespannte Nichtstun nicht mehr ertrage, setze ich mich an den Computer und überlasse ihn sich selbst. Er lässt mich erstaunlicherweise in Ruhe. Warum, das bemerke ich erst, als er vom Balkon hereinstürmt und den Kater packt. »Jetzt mache ich es mit dem Paul«, verkündet er und will wieder hinaus. Da ahne ich etwas, springe auf und rette das Tier vor einem schwungvollen Wurf vom Balkon. Nur langsam wird mir, als ich hinaustrete, klar, was ich da sehe: Simon hat alles vom Balkon geworfen, was da war: den Eimer mit Pflanzenresten, die GieÃkanne, Schaufeln und Gartenscheren, leere Blumentöpfe. Volle Blumentöpfe. Die Isomatte, die zum Trocknen dalag. Den Topf der Clematis, die selbst noch im Klettergitter an der Wand festhängt, Wurzeln in der Luft. Den Sack mit Blumenerde. Den Teddy, der auf der Leine hing. Zum Glück war sonst keine Wäsche mehr da. Die leeren Katzenfutterdosen, die Kiste, in der sie gesammelt werden. Holztiere. Alles liegt unten im Dickicht aus verkrüppelten Thujastauden, Blumen und Unkraut. Er war wohl wirklich sehr aufgeregt.
Ich schimpfe, aber nicht sehr überzeugend. Er kommt auch willig mit, alles wieder einzusammeln. Nur zwischen den tropfnassen Bodendeckern herumstapfen, das will er nicht. Ich klaube zusammen, was geht, die Scherben der Töpfe, die
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