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Ich liebe dich nicht, aber ich möchte es mal können

Titel: Ich liebe dich nicht, aber ich möchte es mal können Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tessa Korber
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dann nichts mehr. Ich rief Jonathans Namen, bekam aber keine Antwort. Als ich erneut versuchte anzurufen, hob niemand mehr ab. Bei keinem meiner Versuche mehr. Dieser Schrei, »Simon«, hatte da nicht Panik mitgeschwungen? Und dann das Platschen – mir wurde himmelangst. Daraufhin wählte ich mit zitternden Fingern erneut die Nummer der Polizei und sagte, dass wir wohl die Teiche der Gegend berücksichtigen müssten.
    Von denen gab es einige. Wir kannten sie gut von unseren Spaziergängen, und Simon hatte in der Tat mehr als einmal versucht, in einem davon zu baden. Sie waren aber tief, mit steilen Ufern; ich hatte es ihm nie erlaubt. Der Ruf »nein, das ist gefährlich« war Routine auf unseren Spaziergängen. Vor meinem geistigen Auge sah ich Simon, der, endlich ohne die verbietende Stimme der Mutter, schwimmen gegangen war in dieser Januarnacht – für ihn kein Problem, er zog sich auch mitten im Schnee eben mal nackt aus. Ich sah Jonathan, der versuchte ihn zu retten. Bestimmt hatte er das Gewicht seiner Kleider unterschätzt, wenn sie sich voll Wasser sogen, hatte die Temperatur nicht bedacht. Und Simons Klammergriff.
    Simon konnte Hundepaddeln, sogar recht gut, mit Hilfe von Schwimmflügeln kam er zügig im Wasser voran. Er neigte aber dazu, sich an einen dranzuhängen, wenn man in seine Nähe kam, ohne Sinn dafür, dass er einem damit Probleme bereitete, weswegen ich in tieferen Gewässern nie mit ihm schwamm, ohne selbst eine Schwimmhilfe dabeizuhaben. Andernfalls würde ernsthaft die Gefahr bestehen, dass er mich unter Wasser drückte. Wie würde er sich erst verhalten, wenn er Angst hatte? Ich sah die beiden bereits untergehen.
    Die Polizei rief die Feuerwehr; jetzt war das ganze Viertel von Blaulicht erleuchtet, die Nachbarn standen auf den Straßen, rieben sich die Oberarme warm und unterhielten sich, der Dampf aus ihren Mündern färbte sich rot und blau von den Lichtern der vielen Wagen. Ich hörte ihre Fragen und Unterhaltungen, während ich an ihnen vorbeistolperte, um zu den Einsatzkräften zu gelangen, und ich hasste sie fast so sehr wie mich.
    Wie im Traum verfolgte ich, wie die Scheinwerfer das verfaulte Schilf und Gestrüpp um die Teiche beleuchteten. In winzigen Stücken wurde die Landschaft in der Dunkelheit sichtbar, hier ein Fetzen, da ein zitternder Ausschnitt. Ich fürchtete mich vor jedem neuen Bild. Ich dachte: Jetzt habe ich gar kein Kind mehr. Und dass ich Jonathan in den Tod geschickt hatte. Und dass, wenn ich wählen könnte, ich mir wünschen würde, er würde leben und Simon wäre tot. Ich schämte mich dafür, aber es war so.
    Immer wieder wählte ich Jonathans Nummer. Meist vertippte ich mich, schaffte es nicht bis zum Ende der Ziffernfolge, ließ das Scheißhandy fallen; es war wie in einem Alptraum, den ich manchmal habe. Aber ich versuchte es wieder und wieder. Da ging er ran.
    Es war alles ein Missverständnis gewesen, das Wasserrauschen stammte von den Rädern seines Rollers, der durch die Pfützen fuhr. Jonathan war da.
    Simon war fort. Eine Stunde später lief er den Beamten in einem ganz anderen Waldstück in die Arme, nahe seiner ersten Schule. »Da warst du für eine Stunde der Größte«, war alles, was Simon zu der Aufregung sagte. Ich dachte, wir müssten es machen wie der Vater in dem Buch: Alle warnen, dass sie nicht freundlich sein durften, sonst wären wir bald jedes Wochenende live bei so einer Show dabei.
    Die Polizisten fragten, ob es mir gut ginge, und zogen dann ab.
    Simons Vater kam und nahm beide Jungs für den Rest des Abends mit.
    Mein Freund kam ebenfalls. Völlig ausgelaugt saßen wir vor einem Glas Wein, dann noch einem, es gab nichts anderes zu tun. »Stell dir vor«, meinte er irgendwann, »ich wäre in meinem Stress zu schnell gewesen und hätte Simon überfahren, irgendwo auf der Landstraße am Wald. Ich hätte dir das nie sagen können. Dann säßen wir jetzt hier, und er läge in meinem Kofferraum.« Wir sponnen eine Geschichte daraus, die Ausgangssituation einer von Anfang an zum Scheitern verdammten Beziehung. Ich überlegte, ob es noch mehr solcher Situationen geben könnte und ob sich daraus ein Konzept für eine Storysammlung entwickeln ließ. Die würde ich dann »Unmögliche Lieben« nennen. Eine Katharsis, wie Autoren sie betreiben. Das Hirn ist in Bewegung, und die Gefühle

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