Ich liebe mich... Sabrina (German Edition)
Urteile über andere zu fällen und stelle fest, dass sich das Leben so viel leichter leben lässt. Wer nicht verurteilt, der beobachtet! Du glaubst nicht, wie spannend dir dann all die schillernden Facetten deiner Mitmenschen erscheinen. Nicht zu verurteilen, heißt ja nicht automatisch auch allem zuzustimmen oder gar für dich selbst zu übernehmen, aber es lässt dich unvoreingenommener die Dinge betrachten. Denke mal darüber nach, Brina.« Ich schwieg und ließ mir ihre Worte durch den Kopf gehen.
Nach dem Abendessen schlug Hanne vor, noch eine Runde im Wald, hinter der Klinik, spazieren zu gehen. Ich war einverstanden, und so verabredeten wir, uns in zehn Minuten am Brunnen zu treffen. Wir wollten noch kurz auf die Zimmer, um andere Schuhe anzuziehen und unsere Jacken zu holen.
Hanne erwartete mich bereits. Wir marschierten gemeinsam in Richtung Wald. Die Luft war mild, die Sonne würde sich noch gut anderthalb Stunden Zeit lassen, ehe sie hinter dem Horizont verschwinden würde. Es dauerte nur fünf Minuten, dann tauchten wir in die kühle, würzige Luft des Mischwaldes ein. Gut, dass wir uns die Jacken angezogen hatten. Der Weg war fest und ausgetreten. Wir gingen eine zeitlang schweigend nebeneinander her. Hanne, mit ihrem forschen, federnden Schritt, bereitete mir Mühe, mit ihr mitzuhalten.
»Kennst du dich hier aus?«
»Ja, wenn wir die kleine Runde gehen, dauert es zirka vierzig Minuten. Ist das okay für dich?«
Wer war hier eigentlich die Ältere von uns beiden, dass sie mich fragte, ob ich vierzig Minuten laufen könne?
»Hm, ich denke schon, dass ich das schaffe.«, brummte ich.
Wenige Minuten später war ich mir da nicht mehr so sicher. Der Weg führte stetig bergan. Ich fühlte, wie sich mein Puls langsam empor schraubte. Hanne bemerkte es und korrigierte meinen Schritt. »Mach bergan kleinere Schritte, dann ist es nicht so anstrengend! Stelle es dir so vor, als ob du am Fahrrad in den kleineren Gang schaltest.«
Ich probierte es; meine Kurzatmigkeit besserte sich tatsächlich durch diesen Trick. »Du bist für mich ein Buch mit sieben Siegeln!«, offenbarte ich ihr beherzt. »Als wir uns am ersten Tag beim Abendessen kennen lernten, dachte ich, du wärest so ein in permanenter Trauer versunkenes Mütterchen. Ich habe dich richtig ein wenig altbacken eingeschätzt, wenn du weißt, was ich meine?«
Sie räusperte sich. »Ja, der Begriff ist mir geläufig. Nun stimme ich plötzlich mit dem Bild, das du dir von mir gemacht hast, nicht mehr überein, was? Wie kamst du überhaupt zu diesem vorschnellen Schluss?«
Ich druckste herum, sie hakte sofort nach. »Na los! Zier dich nicht, ich bin nicht so mimosig!«
»Na gut, du hast es wissen wollen! Also, wie soll ich sagen? Du wirktest mit deinem dunkelroten Kostüm irgendwie bieder und altertümlich. Auch deine Frisur und dein Gebaren erinnerten mich an eine Tante von mir, und die war für mich immer eine alte Frau gewesen. Wahrscheinlich habe ich das unbewusst auf dich übertragen. Entschuldige bitte, du bist mir aber jetzt nicht böse, nein?«
»Ach so, deswegen - ich verstehe! Meine Schwester hat früher auch immer mit mir gemeckert, weil ich mich ihrer Meinung nach unvorteilhaft anziehe. Mit Mode stand ich schon immer auf Kriegsfuß, das gebe ich zu. Nein, ich bin dir nicht böse, Brina. Wie wäre es, wenn du mir ein wenig auf die Sprünge helfen würdest? Ich wollte ohnehin am Samstagmittag nach Hamburg fahren. Da könnten wir einkaufen und uns einen schönen Tag machen. Ich habe ja mein Auto hier, was hältst du davon?«
»Haben wir nicht am Samstag Anwendungen oder so etwas in der Art?«
»Nein, ich habe schon nachgesehen, da steht zur freien Verfügung . Das Personal will sicher auch mal ein Wochenende frei haben und mit der Familie verbringen, schätze ich. Also was ist, bist du dabei?«
»Klar!«, nickte ich zustimmend. »Gerne! Bei meiner Freundin Conny muss ich auch immer die Modeberaterin geben. Darin habe ich Übung!«
Prima Idee. Beschwingt gingen wir weiter. Jetzt wurde der Weg glücklicherweise wieder abschüssig. Zurück in der Klinik, verabschiedeten wir uns im Foyer und wünschten uns noch gegenseitig einen guten Abend.
Auf meinem Zimmer fiel mir als erstes die rote Lampe an meinem Telefon auf. War die schon immer da? Nein, das wäre mir aufgefallen. Ich las die Kurzanleitung, die unter dem Telefon lag, und da stand: Bei leuchtender roter
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