Ich liebe mich
als Hausarzt< besorgen, ziemliche Schwarte, außen rot.«
Hielt er sie einer Indiskretion für fähig? Normalerweise verlangte er Telefonverbindungen bei ihr. Er würde einen Arzt anrufen, und sie sollte es nicht erfahren. Seine labile Verfassung, um die im Werk nur sie wußte, schien sich verschlechtert zu haben. Warum aber war sie dann nicht die erste, die davon erfuhr? Schon um ihn abzuschirmen, Gerüchten entgegenzutreten. Es gab nur eine Erklärung: Der Chef genierte sich für sein Leiden. Dieser Schluß erleichterte Hildes Gemüt und regte ihre Phantasie zu Vorstellungen an, wegen denen sie sich vor sich selbst genierte. Womit das Betriebsklima wiederhergestellt war. Tatsächlich wollte der Chef einen Arzt anrufen. Er hatte die Nummer verlegt. Das beunruhigte ihn. Wieso hatte er gerade diese Nummer verlegt? Warum konnte er sich nicht erinnern? Wenigstens an diese Nummer! Bei seinem sonst so guten Zahlengedächtnis.
Er hatte das Telefonbuch aufgeschlagen, durch Zufall eine Seite mit einer Rubrik unter fettgedruckter Kopfzeile, wie Standesämter oder Polizeireviere aufgeführt werden. Da stand:
Schröder, Kurt-Johannes, Direktor, Senator, Dr. h. c. Darunter Straße und Hausnummer des »Freundes«.
Darunter die Rubrik.
Werk: 33 77 29 — 31
Vorzimmer Chef: 33 77 33
Ortsgespräche, privat: 48 54 92
Ferngespräche: 48 49 92
onsulat: 48 49 50
Kfz. Gespräche anmelden unter: 2 11 30 16, 2 11 30 28, 2 11 30 41, 2 11 30 56, über Vorwählnummer: 010
Motorjacht wie vor unter: 2 41 31 67
Jagdhaus: 0 80 42 / 41 41
Als in der Praxis des Doktors das Telefon klingelte, lag auf der Couch eine jener Frauen, deren Leiden darin besteht, daß sie nicht älter werden, für das Wenige aber, was in ihnen vorgeht, dem Therapeuten weit mehr bezahlen können, als verlangt wird.
Der Doktor wunderte sich über den Anrufer. Er hatte mit einer längeren Pause gerechnet.
»Na, Doktor, haben Sie sich von mir erholt? Was Sie sich alles anhören müssen, bis der Tag rum ist — ich könnte das nicht. Sie werden annehmen, daß ich wegen meines Freundes anrufe, aber das hat Zeit, der ist verreist. Ich rufe ganz spontan an. Wir geben heute abend ein kleines Essen, ein Politiker, ein Bischof und ein Geschäftsfreund aus den Staaten. Wenn Sie Lust haben? Wir würden uns sehr freuen. Den Dialog Seelenarzt—Seelenhirte könnte ich mir sehr reizvoll vorstellen. Auch für Sie!«
Die Patientin auf der Couch lächelte herüber. Sie hatte gerade von ihrer Wirkung auf Männer erzählt und dabei deutlich gemacht, was sie unter psychotherapeutischer Behandlung verstehe. Insofern kam der Anruf dem Doktor gelegen. Er antwortete mit Höflichkeiten. Leider aber sei er für den Abend schon vergeben.
Dafür mußte der Anrufer Verständnis haben.
Therapeuten meiden in der Regel privaten Kontakt mit Patienten. Auch, wenn noch keineswegs feststeht, ob es zu einer Behandlung kommt. Gerade in diesem Stadium wird oft versucht, persönlichen Kontakt herzustellen, der sich später als hinderlich erweist, wenn der Arzt die Aggressionen des Patienten auf sich zieht. Dieses Stadium gehört zum normalen Verlauf. Psychotherapeuten sind keine Beichtväter mit Familienanschluß. Was nicht ausschließt, daß es auch solche gibt. Nur sind diese dann mehr Beichtväter als Therapeuten.
Die Wirkung liegt im Aussprechen, im Eingestehen des Erinnerbaren, nicht im Heraufholen vom Grund des Unbewußten.
Das zu erklären, hätte nicht nur zu weit von der immer noch wacker lächelnden Patientin weggeführt, es hätte den, nach bisherigem Eindruck mißtrauisch Vorwärtstastenden, hellwach Beobachtenden nur irritiert.
Je bewußter der Schauspieler, desto geschickter muß der Regisseur vorgehen, sagt eine Erfahrung. Sie gilt für sämtliche Bühnen des Lebens.
Das Wiedersehen findet am gewohnten Ort statt.
»Schade, daß Sie nicht kommen konnten, Doktor! War hochinteressant. Erstaunlich, wie sich der Bischof auf Ihr Metier versteht! Von der Kirche kann man nur lernen. Diese Erfahrung mache ich immer wieder.«
Daß sich auch Geistliche in die Analyse begeben, verschweigt ihm der Doktor, nickt nur, während er ein weißes Frotteetuch über das Kopfende der Patientencouch breitet. »Ach ja!« seufzt der Besucher, zieht Jacke und Schuhe aus, legt sich, streckt sich. Herkules ist nicht dabei. »Ach ja! Wieder schlecht geschlafen, sehr schlecht. Tut gut, sich so zu räkeln, zu gähnen. Auf meinem Sofa im Büro geht das nämlich nicht. Wegen der Lehnen.«
Ernst nickt der
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