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Ich liebe mich

Ich liebe mich

Titel: Ich liebe mich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Hassencamp
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Doktor, als finde er die Begründung überzeugend.
    »Ja, Doktor, eigentlich bin ich nur gekommen, weil Sie nicht kommen konnten. Ich unterhalte mich gern mit Ihnen. Man kann ja mit kaum jemand reden. Das wird immer schlimmer, je älter man wird. Es wird überhaupt immer schlimmer. Nun ja! Sie werden das vielleicht ungewöhnlich finden.
    Im allgemeinen liegen hier doch gebrochene Individuen — stelle ich mir vor. Ich finde es faszinierend, daß da Leute kommen, auf irgendeine Empfehlung, sich hinlegen und ihr Leben ausbreiten. Oder wie geht das vor sich? Damit wir uns recht verstehen: Ich will hier keine Analyse durchmachen. Mich interessiert ganz einfach das Metier, die Schaltungen der menschlichen Seele, wenn Sie so wollen. Was ich suche, ist nur Information. Auch Anregung vielleicht. Bei meiner Belastung kann hie und da ein Stündchen Psychologie nichts schaden.«
    Wenn er sich über das Metier informieren wolle, erklärt ihm der Doktor, wäre es aufschlußreicher, nicht zu theoretisieren, sondern zu berichten irgend etwas aus seinem Leben, oder einen Traum. Die Materie sei spröde, lasse sich praktisch nur durch Erleben verstehen. Hier unterbricht der Besucher. Er träume sehr wenig, fast nie. Früher als Kind habe er sehr viel geträumt. Es sei dem Doktor doch recht, wenn er auf die Kindheit zu sprechen komme. Die Kindheit spiele, das höre man immer wieder, in der Psychologie die entscheidende Rolle.
    Noch einige Positionswechsel, dann wird die Stimme ruhiger. Ohne Gedankensprünge, ohne Anmerkungen gibt er seinen Lebenslauf. Gelegentlich bekommt sein Tonfall etwas salbadernd Kehliges, wie bei Sängern, die nach einer Arie in ungewohnter Prosa notlanden, oder jenen weihevollen Anklang des Predigers, wenn Routine den Glauben überwuchert. Ungefähr nach fünfzehn Ehejahren wird der Ton heller, der Atem schneller. Im Grunde habe er alles erreicht, was er sich vorgenommen habe, könne glücklich und zufrieden sein. Vielleicht mit der einen Einschränkung, daß er Sohn Golo lieber im Werk sehen würde, statt als Mediziner.
    Noch einmal in dieser Woche legt sich der Besucher auf das weiße Frotteetuch, berichtet aus dem Werk und von seiner Freude am Beobachten.
    »Ja Doktor, wenn ich Ihnen alles erzählen wollte, was mir auffällt, durch den Kopf geht — ich müßte hundert Stunden kommen. Wissen Sie, was mir an Ihnen gefällt? Daß Sie nicht gleich tiefschürfend mit Vater und Mutter daherkommen, mit Ödipus und verkappter Homosexualität. Das ist doch nahezu ein Gesellschaftsspiel! Wo immer die Rede auf Psychologie kommt, ergehen sich die Leute in Andeutungen, zitieren Sätze von Freud, die auch Schnitzler gesagt haben kann — den ich übrigens sehr schätze, habe ihn im Krieg viel gelesen — und drücken sich mit wichtiger Miene um das große Muttertabu.«
    Ein Lächeln über den Bücherstapel.
    »Bleiben wir spaßeshalber dabei: Wie standen Sie zu Ihrer Mutter?«
    »Oh, ausgezeichnet. Mama war eine großartige Frau, gütig, absolute Autorität. Leider ist sie viel zu früh gestorben. Ich war ihr Einziges... ihr Einziger... einziger Sohn...«
    Für Versprecher sind Psychologen das denkbar dankbarste Publikum.
    »Hat sie Ihre Frau noch gekannt?«
    »Leider nicht. Ich wollte, sie hätte! Schon weil ich sicher bin, daß sie sich großartig verstanden hätten. Der Wunsch ging mitunter so weit, daß ich sie im Traum nicht auseinander halten kann. Das heißt früher. Viel früher. Dabei sind sie so verschieden. Meine Mutter hat mich immer bewundert und war stolz auf mich. Meine Frau ist kühler, sachlicher. Erfolg ist für sie eine Selbstverständlichkeit. Sie ist ironisch, lächelt über mein Pflichtgefühl. Wahrscheinlich Eifersucht. Unbewußt. Jetzt weniger. Man wird älter, die Maßstäbe ändern sich. Es ist merkwürdig: Zuerst streben die Menschen nach größtmöglicher Übereinstimmung und beklagen sich dann über mangelnde Spannung. Was einen faszinieren soll, muß man sich selber inszenieren! So ist es doch?«
    Da kann der Doktor nicht widersprechen.

    Es war einer jener Opernabende, die der Staat von Zeit zu Zeit in eigener Regie veranstaltet. Die Landesregierung hatte den Besuch eines fremden Potentaten als willkommene Gelegenheit benutzt, in dem klassizistischen Neubau am Max-Josephs-Platz so etwas wie barocke Pracht zu entfalten.
    Die Oper, Richard Wagners Parsifal, den Bayern nahestehend und — gehend, nicht zuletzt dank König Ludwigs des Zweiten träumerischer Mannesliebe zu dem teuren Sachsen,

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