Ich liebe mich
viel gesprochen. Über Schreiben und was man lesen müßte und was man sehen müßte und was man hören müßte. Und als Stephanie nicht wußte, was man wissen müßte, glitt das Gespräch zu Sigmund Freud hinüber, der gesagt haben soll, daß es für den Menschen des zwanzigsten Jahrhunderts nur noch ein Abenteuer gebe — die Sexualität. Die beiden Herren, dezent in Habitus und Arroganz, eiferten dem Ideal des britischen Gentleman so erfolgreich nach, daß sie wie Alt-Potsdamer Herrenreiter wirkten. Heiter, ohne jede Anzüglichkeit, stimmten sie dem großen Entzauberer bei, lobten die Morbidität der Spätkultur, in der man lebe, ihre verästelten Reize, die es glücklicherweise immer noch gebe, und luden die beiden Mädchen für den Abend ein. Stephanie erntete mit ihrer Frage >Und was zieht man zu Morbidität an?< müdes Gelächter.
Babette sagte für beide zu.
Die Wohnung, im Dachgeschoß einer Schwabinger Villa, war erstaunlich ruhig und mit ernsten Mahagonimöbeln eingerichtet. Frauen in mittleren Jahren bewegten sich gazellenhaft in Kaminröcken oder Hosen zu engen Blusen ohne Busen. Man sprach über Zen und Poe. Dazu wurde getanzt, langsam, nach individueller Choreographie. Stephanie stand abseits mit einem kurzgeschorenen Graukopf, dessen rötlich-blonder Schnurrbart sich wie gefärbt ausnahm. Sie hatten sich über Pferde gefunden. Stephanie erzählte, von sich, von ihrem Vater. Ihre Augen glänzten. Er war Frauenarzt und sehr behutsam. Babsi lachte viel, trank schnell, nahm Komplimente und Einladungen an:
zum Oktoberfest, in die Sauna eines Verlegers, auf ein Schloß.
Nur nicht allein sein jetzt.
»Herrlich dieses Südtirol! Schau noch einmal zurück. Da drüben saßen wir gestern nachmittag. Paul ist noch ein wirklich kultivierter Gastgeber. So soll der Mensch leben!«
Er wurde unruhig, während sie sprach, ließ anhalten, öffnete die zentralverriegelte Tür und kletterte in den Wald hinauf. Alois zog eine Zeitung hervor, breitete sie über das Lenkrad und las. Chauffeure haben berufsbedingt ein Gefühl für Pausen. Auch sie stieg aus, nahm noch einmal Abschied von der Gegend, von den Eindrücken, von der Wunschzukunft, die hier Gegenwart gewesen war. Im ersten Waldstück hinter Innsbruck ließ er abermals halten. Sie blieb im Wagen sitzen, ordnete ihre Gedanken, um die Gelegenheit, vielleicht die letzte bis München, zu nutzen.
»Du solltest dich untersuchen lassen, wenn wir zurück sind!«
»Wozu? Wir haben uns gerade erholt.«
»Aber das ist doch nicht mehr normal!«
Er schob das Thema von sich weg, vergeblich. Sie meinte es gut. »Wir müssen das richten lassen. Außerhalb irgendwo. Damit du nicht auf die Idee kommst, das Werk vom Krankenbette aus zu leiten. Es gibt eine sehr gute Klinik in Meran. Anschließend wohnen wir bei Paul und suchen mit ihm in Ruhe einen Platz, wo’s uns gefällt. Ich denke, in der Gegend von Eppan oder Kaltem. Bitte, das ist nur ein Vorschlag. Aber wenn wir unser Häuschen am Waldrand verwirklichen wollen, müssen wir’s bald tun. Worauf warten wir? Wenn das Werk in der Familie bliebe...! Du bist doch nicht zufrieden. Sonst würdest du nicht zum Therapeuten gehen. Entschuldige, daß ich davon spreche.«
Woher weiß sie das? Es gelingt ihm, seine Überraschung zu verbergen, indem er mit besorgtem Ausdruck bei seinem Leiden verweilt. Sie möge ihn nicht mit leichtfertigen Diagnosen beunruhigen, eine Erkältung, weiter nichts, für Komplikationen habe er keine Zeit. Im Werk erwarte ihn Arbeit, die schon einen Gesunden überfordere. Um ehrlich zu sein: eigentlich hätte er nicht wegfahren dürfen. Seitenblick: Ihm ist, als senke sie schuldbewußt den Kopf vor so viel aufopfernder Liebe. Das ist der Augenblick, die Hauptsache beiläufig richtigzustellen.
»Was fehlt, ist ein verläßlicher Betriebspsychologe. Dein Pirat vom Fasching hat sich nicht als Hilfe erwiesen. So lastet eben alles auf mir. Du hast es gut gemeint, ich weiß...«
Wie schön ist es doch nach einer Reise zurückzukehren ins aufgeräumte Heim, in die gewohnte Ordnung. Alles macht Freude. Das eigene Bett, der Schreibtisch, das Bad, das Ankleidezimmer mit den Schränken, in denen alles hängt, was man hätte brauchen können. Und das Wiedersehen mit den Kindern. Zurückhaltend der Sohn, spontan den väterlichen Hals umschlingend die Tochter. Alles, wie man es verlassen hat. Aber man findet keine Ruhe. Man kehrt nicht nur nach Hause zurück.
Auf sein Klingeln unten hat niemand reagiert. Er ist
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