Ich mag dich immer noch, wie du bist - Liebe ist nicht die Antwort, sondern die Frage: Ich mag dich immer noch, wie du bist
gegangen, hat alles in der Küche stehen und liegen gelassen.«
Meine Worte sind eigentlich nur eine Beschreibung der Sachlage, aber mein Vater hat den Vorwurf wohl bemerkt.
»Es tut mir leid«, sagt er leise, während im Hintergrund seine Kollegen lebhaft diskutieren.
Ich beende das Gespräch und gehe zu meiner Mutter ins Schlafzimmer.
»Mama, bist du wach?«, frage ich und öffne die Tür einen Spalt.
»Oh, Alice, du bist es … Ich habe schreckliches Kopfweh, deshalb hab ich das Essen nicht fertig gekocht.«
»Mach dir deswegen mal keine Sorgen, aber wollen wir Heiligabend denn gar nicht begehen?«
»Alice, es tut mir leid, du weißt doch, dass die Großeltern nicht kommen, oder?«
»Ich weiß, aber wir sind immerhin da.«
Plötzlich erfüllt mich die Vorstellung, Weihnachten mit meiner Mutter und meinem Bruder, nur zu dritt, zu verbringen, mit unendlicher Traurigkeit. Und da kommt mir eine Idee. Ich nehme mein Handy und sehe, dass mich jemand angerufen hat. Mary. Wie seltsam, dass sie mich um diese Zeit anruft. Trotzdem rufe ich sie zurück.
»Süße!«, flötet sie. »Ich hab es vorhin bei dir versucht, aber du bist nicht drangegangen.«
»Ich hatte ein bisschen Stress zu Hause. Was ist los? Warum hast du mich angerufen?«
»Der Flug ist gestrichen, wegen des Schnees.«
»Und wo bist du jetzt?«
»In Mailand.«
»Dann komm doch her! Mary, das ist perfekt, komm her, wir feiern zusammen Weihnachten.«
Mary zögert kurz, bevor sie antwortet.
»Du feierst doch sicher mit deinen Eltern zusammen«, sagt sie ein wenig zögernd.
»Nein, weißt du, mein Vater ist in der Fabrik geblieben, meiner Mutter geht es nicht gut, aber wir können ja trotzdem feiern.«
»Ali, tut mir leid, aber ich bin auf dem Weg zu Luca. Du hast dich vorhin nicht gemeldet und da habe ich ihn angerufen.«
»Ach so, okay …«
»Tut mir leid, aber ich konnte ja nicht wissen …«
»Kein Problem, Mary, schließlich bist du auch mit ihm befreundet.«
Ich beende das Gespräch und beschließe, sämtliche Spekulationen zum Thema Wer-ist-mit-wem-befreundet bis nach Weihnachten zu verschieben. Jetzt muss ich mich um einen Notfall kümmern. Wenn ich Heiligabend nur mit meinem Bruder und meiner deprimierten Mutter verbringen muss, erschieße ich mich, nein, dann erschießen wir uns alle gegenseitig.
Ich nehme noch einmal mein Handy und wähle eine Nummer.
»Ali, hallo.«
»Marti, zum Glück bist du drangegangen.«
»Warum? Was ist los?«
»Wo bist du? Was machst du gerade?«
»Ich hab mich gerade mit dem neuen Freund meiner Mutter angelegt.«
Im Hintergrund höre ich aufgeregte Stimmen, jemand ruft: »Du kannst mich auch mal!«
»Ist der etwa noch da?«
»Ja, aber dafür haue ich jetzt ab.«
»Und wo willst du hin?«
»Keine Ahnung, warum? Hast du irgendwelche Vorschläge?«
»Na klar hab ich welche!«
Jetzt muss ich mich nur noch ums Abendessen kümmern. Ich eile geschwind in die Küche und versuche, aus den in der ganzen Küche verteilten Zutaten und Töpfen zu erraten, was meine Mutter geplant hatte. Dann schalte ich den Ofen an, schichte die Füllung aus Ricottakäse und Spinat mit dem Blätterteig in eine Form und schiebe sie gemeinsam mit dem Braten hinein, in der Hoffnung, dass sie zur selben Zeit gar werden. Dann zünde ich die Gasflamme unter der Soße an und schaue schließlich im Kühlschrank nach, wo ich tatsächlich Räucherlachs und Toastbrot finde. Geritzt.
»He, seit wann kannst du kochen?«, fragt Fede, der in der Küchentür steht.
»Ich möchte ein Weihnachtsessen machen.«
»Und für wen? Nur für uns zwei?«
»Martina kommt auch. Lad einen Freund ein, wenn du willst.«
»Ich nehme an, meine Freunde sind bei ihren Familien«, sagt Fede, bevor er ins Wohnzimmer geht und den Fernseher einschaltet.
Und durch das unveränderliche Plärren des Fernsehers, die Stimmen der Moderatoren, die irgendwelche Banalitäten über Weihnachten von sich geben, wird mir klar, dass meine Idee funktionieren kann.
Aber genau in diesem Moment erscheint meine Mutter in der Küche, mit abstehenden Haaren und auch sonst ein bisschen durcheinander, und sieht so aus, als suche sie nach Worten, um eine spontane Idee loszuwerden.
»Mama, was ist los?«, frage ich sie besorgt.
»Dein Vater kommt also nicht zu uns? Na, dann gehen wir eben zu ihm«, verkündet sie und ist auch schon wieder verschwunden, während mein Handy klingelt. Weil ich schmutzige Hände habe, fische ich es vorsichtig mit zwei Fingern aus der Tasche
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