Ich mag dich immer noch, wie du bist - Liebe ist nicht die Antwort, sondern die Frage: Ich mag dich immer noch, wie du bist
traurig, aber ihre Lippen versuchen alles, um fröhlich zu wirken.
»Gehen wir zu dir?«, fragt sie mich.
20 Alice
»Wir beide müssen alleine essen, Mama und Papa gehen weg.«
»Okay«, sagt Federico, dabei schaut er weiter auf den Bildschirm seines Computers. Es ist sieben Uhr abends und draußen ist es dunkel. In der Wohnung herrscht diese trübe, einschläfernde Herbststimmung, die einem das Gefühl gibt, der Nachmittag würde nie enden, und trotzdem habe ich die Hausaufgaben für morgen nicht geschafft. Ich werde sie nach dem Abendessen machen, habe ich mir gesagt, vielleicht vor dem Fernseher, oder ich stehe einfach morgen ein bisschen früher auf. Ja klar, dann kann ich auch gleich vor der Schule eine Runde durch den Park joggen, um meine Ausdauer zu verbessern.
Manchmal erwische ich mich dabei, wie gut ich mich selbst veräppeln kann.
»Wir essen um halb neun«, erkläre ich meinem Bruder, der mir immer noch nicht zuhört.
»Okay«, antwortet er zerstreut.
»Und morgen muss ich früh raus, ich reise für eine Weile nach Jamaika. Der Mailänder Herbst macht mich fertig.«
Federico nickt vor seinem Computer, bevor er zum dritten Mal »Okay« sagt. Doch dann wird ihm klar, was ich gesagt habe.
»Was ist mit Jamaika?«
»Du hast mir nicht zugehört.«
»Stimmt.«
»Was machst du da am Computer?«
»Geht dich nichts an.«
»Pass bloß auf, dass ich ihn dir nicht wegnehme«, drohe ich aus Spaß.
Das ist unser Spiel. Ich tue so, als wäre ich die Mutter und er ist der böse Sohn.
»Dann haue ich von zu Hause ab.«
»Und ich sperre dich in deinem Zimmer ein, bis du volljährig bist.«
Mein Bruder kichert und schüttelt den Kopf. »Hast du heute nichts zu tun?«
»Ich wollte dich ein bisschen nerven.«
»Ach, Clara kommt übrigens.«
»Dann soll ich wohl auch für sie kochen.«
»Ja, gut erkannt, also beweg dich.«
Federico prustet los und ich packe seinen Kopf, um ihn mit den Fingerknöcheln zu bearbeiten. In diesem Moment kommt meine Mutter herein.
»Was ist hier los?«, fragt sie.
»Federico sieht sich Pornoseiten an«, beschuldige ich ihn.
»Alice ist schwanger!«, schreit Federico, den ich immer noch gepackt halte.
Meine Mutter stützt die Hände in die Hüften. »Warum kann ich nicht zwei ganz normale Kinder haben?«
Das sagt sie, aber eigentlich mag sie es, wenn wir ein bisschen ausflippen.
»Hör mal, Fede«, sage ich, als wir wieder allein sind. »Hast du mal daran gedacht, für ein Jahr wegzugehen?«
»Ein Jahr weg, wann denn?«
»Du weißt doch, dass es diese Austauschprojekte gibt, wo man ein Jahr in der Oberstufe im Ausland verbringen kann.«
»Und warum sollte ich das tun?«
»Weil es eine schöne Erfahrung ist, du würdest Englisch lernen und …«
Fede sieht mich verblüfft an. »Ali, bist du scharf auf mein Zimmer?«
»Ach, Quatsch, das hab ich doch nur so gesagt … Aber du hast ja eine Freundin, na ja, und wenn du weggehst …«
»Was hat das damit zu tun? Wenn ich mich dafür entscheide wegzugehen, würde ich das nicht aufgeben, weil ich eine Freundin habe.«
»Ach, nicht?«
»Nein.«
»Na ja, vielleicht überlegst du es dir noch. Vielleicht ist das für sie nicht in Ordnung und sie verlässt dich.«
»Oh Mann, musst du unbedingt den Teufel an die Wand malen?«
»Komm schon Fede, so hab ich das doch nicht gemeint, sieh es doch mal von der anderen Seite. Nimm mal an, Clara würde dir sagen, dass sie für ein Jahr weggeht. Würdest du mit ihr zusammenbleiben, wenn ihr ein Jahr so weit voneinander entfernt sein würdet?«
»Was redest du da eigentlich?«, fragt mich mein Bruder leicht beunruhigt. »Weißt du etwa mehr als ich?«
»Ach wo, Fede, glaubst du etwa, dass Clara ausgerechnet mir erzählen würde, dass sie ein Jahr ins Ausland geht?«
Fede schweigt, er ist offensichtlich verwirrt. Doch dann hellt sein Gesicht sich plötzlich auf. »Ach so, okay.«
»Was meinst du mit ›okay‹?«
»Luca.«
Erwischt!
»Er kommt wieder«, erklärt Fede ganz ernst.
»Warum bist du dir da so sicher?«
»Männliche Intuition.«
»Es heißt weibliche Intuition, Blödmann.«
Er zuckt zur Antwort nur mit den Schultern, und obwohl ich weiß, dass es lächerlich ist, fühle ich mich irgendwie beruhigt von dieser männlichen Intuition.
Plötzlich hören wir einen Schrei. Das ist meine Mutter. Beide stürzen wir ins Wohnzimmer, wo sie wie erstarrt vor dem Fernseher sitzt. In einer Hand hält sie die Fernbedienung, mit der anderen das Handy ans Ohr.
»Mama, was
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