Ich mag dich immer noch, wie du bist - Liebe ist nicht die Antwort, sondern die Frage: Ich mag dich immer noch, wie du bist
womit ich nur erreiche, dass sie erneut losprustet. Sie räkelt sich auf dem Bett, hebt die Hände und betrachtet die Ringe an ihren Fingern. Drei davon sind sehr auffällig, mit einer schmalen Fassung und einem großen viereckigen Stein. Ich gehe ans Fenster und schaue hinaus. Das tue ich oft. Alice meint, das sei meine Art, eine Diskussion zu beenden. Ich glaube, das gilt jetzt auch für diese Situation.
»Ich war auch mal so«, sagt Dalila nach einer Weile.
»Wie?«
»Vertrauensselig, naiv, brav, eben so wie du.«
»Und was ist dann passiert?«
»Dann hab ich festgestellt, dass brave Mädchen immer den Kürzeren ziehen, ich hab gemerkt, dass es nicht die braven Mädchen sind, die es im Leben zu was bringen, und dann … Schon gut, ich erzähle dir jetzt nicht meine Lebensgeschichte.«
In diesem Moment passiert etwas in meinem Kopf. Einen Moment lang verschwindet das Zimmer. Ich sehe ein Motel vor mir, ein Zimmer, ein schwangeres Mädchen, das auf der Bettkante sitzt. Sie weint, hält sich den Bauch mit den Händen. Draußen vor dem Zimmer steht ein Junge, der an die Tür klopft. Aber ganz leise, als ob er gar nicht hereinkommen möchte, oder als hätte er die ganze Nacht dort schon vergebens geklopft.
»Warum eigentlich nicht?«, sagt mein Mund, aber ich weiß gar nicht genau, was ich damit meine. Mit einem Lächeln, das fast Verwunderung auszudrücken scheint, sieht sie mich an. Dann fährt sie sich leicht mit der Zunge über die Lippen und seufzt.
»Ich habe einen Teil von mir in Italien gelassen, einen Teil meiner Vergangenheit.«
22 Alice
Luca ist nicht online. Na toll. Ich wusste es ja, ich wusste, dass ich mit solchen Schwierigkeiten fertig werden müsste, aber ich hatte nicht erwartet, dass das so schnell passieren würde. Jetzt verpasst er schon zum dritten Mal unsere Verabredung via Skype, aber ich habe beschlossen, mich nicht aufzuregen. Ich nehme mein Handy und schreibe eine SMS: Wo bist du? Bist du wach? Dann geh online!!!
Ich drücke auf »Senden« und warte, während ich die Rubrik »Die schönste Zeit meines Lebens« mit zwei wichtigen Beiträgen update:
Papa hat sich am Fabriktor angekettet.
Mein Freund ist in San Francisco und vernachlässigt mich allmählich immer mehr.
Endlich wird Lucas Icon grün. Er ist online. Ich rufe ihn an.
»Ali, hallo«, sagt er, und seine Stimme klingt so, als wäre er gerade erst aufgewacht.
»Hast du noch geschlafen? Wie spät ist es denn bei dir?«
»Weiß nicht …«, antwortet er mir und bestätigt damit meinen Verdacht.
Den endgültigen Beleg dafür erhalte ich, als sein Gesicht auf dem Bildschirm erscheint. Seine Haare stehen nach allen Seiten ab und ihm fallen beinahe die Augen zu.
»Entschuldige, Ali, aber das war eine echt harte Nacht«, sagt er und reibt sich das Gesicht. »Aber jetzt bin ich ja da, okay Alice, also hallo.«
Endlich scheint er einen klaren Kopf zu bekommen. Ich sehe ihn an und kann nur denken, wie sehr er mir fehlt. Wie gern wäre ich jetzt bei ihm. Was gäbe ich darum, wenn ich eine Hand in den Bildschirm schieben und seine berühren könnte.
»Luca, ich muss dir so viel erzählen … Oh Mann, warum bist du nicht hier?«
Er lächelt und einen Moment lang habe ich das Gefühl, als wären wir tatsächlich zusammen, als hingen wir irgendwo im Äther, wo unsere Bilder sich treffen.
»Dann leg los«, sagt er und ringt sich ein verschlafenes Lächeln ab.
»In der Schülerzeitung ist mein erster Artikel erschienen! Ein Riesenerfolg, jeder hat mir dazu gratuliert, und dabei wollte ich ihn eigentlich nicht mal schreiben, aber jetzt bin ich doch irgendwie froh, dass ich es gemacht habe, und nun wird es eine Demo geben, nur wegen meines Artikels! Also, das ist so abgefahren …«
»Halt mal, was denn für eine Demo?«
»Der Artikel war über die Abendschulen, du weißt doch, dass man die hier geschlossen hat. Und deshalb habe ich einen Artikel geschrieben, dass das ein Fehler ist und so, aber na ja, ich hätte nie geglaubt, dass der gleich so einen Erfolg haben könnte. Also, ich weiß auch nicht, aber ich glaube, ich find das toll.«
Ich rede, ohne Atem zu holen, und mir wird klar, dass ich ihn gerade zutexte.
»Warte mal, Ali, ich hör dich im Moment nicht so gut, da ist irgendwo eine Störung, probier’s noch mal.«
»Luca, Luca, bist du da?«
»Na also, jetzt höre ich dich klar und deutlich, was hast du gesagt?«
»Ach nichts, nur dass ich mich freue und mir diese Situation gefällt. Da ist aber noch etwas,
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