Ich muss dir etwas sagen
Kluft. Die
Eheprobleme entstanden nicht infolge der Tatsache, daß Ronald nicht weiter befördert wurde, sie waren vielmehr die Folge seiner Konfliktangst und weil er nicht bedachte, daß man die Wahrheit sagen kann, ohne ein Desaster zu verursachen. Die typische Entwicklung vom Verschweigen zum Herausplatzen
sorgte auch hier für die nahezu unvermeidliche Katastrophe.
Verständnis ist hilfreich
Ronalds Geschichte ist eher die Regel als die Ausnahme. Sie ereignet sich immer dann, wenn wir unseren Ängsten erlauben, zu bestimmen, wie wir mit Wahrheiten umgehen, die wir nun
mal sagen müssen.
Hier möchte ich noch einmal darauf hinweisen, daß dieses
Buch Ihnen helfen soll, sich von Ihrer Konfliktangst, von der Algolalophobie zu befreien. Bisher hatten diese Befürchtungen ja durchaus ihre Berechtigung, weil man meist nicht weiß, wie man seine Wahrheit erzählt, ohne Chaos zu verursachen. Wer also lernt, die Wahrheit auf positive Weise und mit heilsamer Wirkung zu offenbaren, dem bleibt nichts mehr, wovor er Angst haben müßte.
Schleichendes Gift
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Die Erkenntnis ist unvermeidlich: Das scheinbar angenehme
Schweigen aus Furcht, die Wahrheit zu sagen, kann genausoviel Schaden anrichten wie die ungeschminkte Wahrheit. Gift ist ebenso tödlich wie Schwarzpulver.
Karens Geschichte
Vor fünf Jahren gründeten Karen und Larry ein kleines
Unternehmen, in dem sie Lernsoftware entwickelten und
produzierten. Dank der Kombination ihrer Fähigkeiten schienen sie dazu prädestiniert, ein perfektes Team zu bilden. Aber in Wirklichkeit hatte Karen Ziele, die nicht zu Larrys Absichten paßten. In einer schnellebigen Industrie wollte sie so schnell wie möglich expandieren, um das Geschäft dann bald an ein
größeres Unternehmen zu verkaufen. Karen wollte vor allem
Geld verdienen und war kaum daran interessiert, Wohltäterin zu sein. Larry hingegen wollte mehr Zeit für die Forschung
aufwenden und sich um Zuschüsse kümmern, damit er Inhalte
entwickeln konnte, die besser auf die Bedürfnisse der Kinder zugeschnitten sind.
Karen verschwieg ihre Ziele, weil sie dachte, ihre
unterschiedlichen Meinungen würden sich im Laufe der Zeit
angleichen. Aber das Gegenteil geschah - die Arbeit wurde für beide immer frustrierender. Larry war zunehmend enttäuscht von Karens Geschäftsgebaren, das er für Raubtierkapitalismus hielt. Karin ihrerseits irritierte es enorm, daß Larry sie immer wieder auszubremsen schien. Dennoch schwieg sie weiterhin, da sie ihre umfangreichen finanziellen und gefühlsmäßigen
Investitionen nicht gefährden wollte indem sie die Fakten ins Auge faßte.
Schließlich kam es zum unvermeidlichen, chaotischen
Zusammenbruch ihres Unternehmens. Karen wurde aus dem
Schaden klug: „Ich wünschte, ich hätte am Anfang Klartext mit Larry geredet. Damit hätte ich uns beiden fünf frustrierende und
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schmerzhafte Jahre erspart. Das Chaos, das ich mit meinem
Schweigen verhindern wollte, wuchs einfach immer weiter, bis es uns am Ende beide überwältigt hat.”
In den Fängen der Wahrheit
Ich habe zahllose Geschichten wie diese gehört, und immer
wieder erwies es sich, daß Verschweigen nur äußerst selten hilft.
Ich ermunterte deshalb in der Folge Klienten, die eine
unangenehme Wahrheit mitteilen mußten, die betreffende
Person zu einer Sitzung mitzubringen und die Bombe in meiner Gegenwart platzen zu lassen.
Die alte Weisheit, daß die Wahrheit frei macht, erwies sich als richtig. Allerdings muß diese Wahrheit jeweils wirksam und positiv mitgeteilt werden, und es muß sich dabei um etwas handeln, das unbedingt gesagt werden muß.
Anns Geschichte
Als ich Ann und ihre Familie kennenlernte, war sie 39 Jahre alt. Sie war eine außerordentlich talentierte Künstlerin, doch schätzte man ihre Werke kaum, und sie konnte sich nicht davon ernähren, obwohl sie eigentlich sowohl brillant als auch
kommerziell attraktiv waren. Es fiel ihr sehr schwer, eine ganz bestimmte Wahrheit zu äußern: ihre Bedürfnisse und Wünsche.
Ann wurde in Holland geboren, unmittelbar nach der
deutschen Besetzung im Zweiten Weltkrieg. Während der
Schwangerschaft ihrer Mutter herrschte Not, und diese fühlte sich schuldig, ihrem ungeborenen Kind möglicherweise nicht genügend Nahrung geben zu können.
Diese Erfahrung führte bei Anns Eltern zu der ständigen
Angst, ihren Kindern nicht genug zu bieten. Wenn Ann um
Dinge bat, die über das hinausgingen, was sie regulär bekam,
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versetzte das
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