Ich muss dir etwas sagen
fühlt, wenn einem die Schwester die ganze Sammlung
negativer Gefühle, die sie schon seit Jahren mit sich herumträgt, vor die Füße knallt.
Die Resultate all dieser Forschung und meiner Arbeit als
klinischer Psychologe zu diesem Thema sind in das Buch
eingeflossen, das Sie gerade in Händen halten. Es enthält alles, was man braucht, um eine Wahrheit zu sagen, wie schwierig
oder unangenehm sie auch sein mag. Es zeigt auf, wie man die Wahrheit so äußert, daß der andere sie sowohl ertragen kann als auch, daß sie die eigenen Ziele fördert und die Beziehung zum Gegenüber nicht wesentlich stört wird, so daß alle einen Gewinn aus der Erfahrung ziehen können.
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Worte schaffen Welten
Die richtige Einstellung
Die Wahrheit ist eigentlich nie nackt. Sie kleidet sich immer in Worte, wie diese auch lauten mögen. Und Worte erschaffen
Welten. Aus diesem Grund heißt es auch: Die Feder ist
mächtiger als das Schwert. Worte, die ein Elternteil seinem Kind sagt, können das Fundament von Hoffnung und Selbstrespekt
für ein ganzes Leben legen - Worte erschaffen Welten.
Das gleiche gilt auch bei Erwachsenen. Jeder, der sich einmal danach gesehnt hat, von einem anderen „ich liebe dich” zu
hören; jeder, der schon mal mit vernichtender Kritik konfrontiert wurde, versteht, wie Worte Welten erschaffen. Jeder, dessen Perspektiven sich nach einem ermutigenden Zuspruch weiteten, begreift, was ich meine.
Die Worte, mit denen wir unsere Wahrheit äußern, sind daher außerordentlich wichtig: Je wichtiger ist, was wir zu sagen haben, desto wichtiger ist, wie wir es tun.
Falsche Einstellungen
Im Grunde ist es naiv, nicht an die Konsequenzen seiner
Worte zu denken. Man könnte meinen, die Wahrheit
ungeschminkt zu äußern, schütze vor dem Vorwurf, Dinge
unbesonnen, hinterhältig, unsensibel und ineffektiv zu
formulieren. Die Rechtfertigungen sind uns allen bekannt: „Ich habe dir doch nur die Wahrheit gesagt.” „Ich habe doch nur gesagt, was mir auf dem Herzen lag.” „Ich habe doch nur die Fakten geschildert.” Irgendwie klingt es nach: „Das hat doch gar nichts zu sagen. Weshalb regst du dich so auf?” Diese
Einstellung folgt im Prinzip dem Motto: „Nimm kein Blatt vor
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den Mund - und zur Hölle mit den Folgen…”
Wieder andere glauben, manche Wahrheiten seinen so schwer
zu äußern oder anzuhören, daß man sie am besten überhaupt nicht sagt. Sie sprechen nichts aus und hoffen, daß ihr Schweigen sie schützt. Aber es gibt weit bessere Alternativen, als unangenehme Wahrheiten zu verschweigen.
Es gibt tatsächlich hilfreiche Worte, wenn man die Wahrheit sagen will, die außerdem vor ungewollten und schmerzlichen Nebenwirkungen schützen - man muß nicht im Dilemma
zwischen Wahrheit mit schädlicher Wirkung und
schuldbewußtem Stillschweigen gefangen bleiben. Man kann
Tag für Tag in allen wichtigen Beziehungen ein vollkommen
ehrlicher und authentischer Mensch sein, der seine Wahrheit sagt und lebt, ohne weiterhin die Schmerzen und
Schwierigkeiten zu erdulden, die man in der Vergangenheit
erfahren mußte. Man kann die Wahrheit kanalisieren, so daß sie ihre Kraft behält und dennoch völlige Sicherheit gibt. Sie können die Verantwortung für die Wahrheit übernehmen.
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Sagen oder Nicht-Sagen das ist hier die
Frage
Man muß nicht immer die Wahrheit sagen. Wenn man sie
allerdings nicht sagt, sollte das eine verantwortungsvoll
getroffene Entscheidung sein und nicht von der Angst getragen, Schwierigkeiten zu bekommen oder Chaos zu verursachen. Es
ist wunderbar, sein Schweigen zu brechen, aber es ist genauso wundervoll, den Zwang abzulegen, immer die Wahrheit sagen
zu müssen.
Wenn es um die Wahrheit geht, sollte man klug sein. Solange man die Wahrheit für heilig und unantastbar hält, kann man nicht wirklich entscheiden, ob man sie bekennen sollte oder nicht. Man erzählt sie einfach, oder man schweigt still und fühlt sich schuldig. Es handelt sich bei dieser Entscheidung allerdings um eine praktische Angelegenheit, die weitreichende
Konsequenzen haben kann.
Die Wahrheitsinvestition
Bei der Entscheidung, ob man die Wahrheit sagen sollte oder nicht, hilft es vielleicht, wenn man dies als an eine Art
Investition betrachtet. Man investiert sie, wenn man sie jemandem mitteilt, der einem wichtig ist. Man weiß zwar nicht genau, was dabei herauskommt, aber weil die betreffende
Person einem wichtig ist und man auch in Zukunft eine gute Beziehung haben will,
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