Ich muss Sie küssen, Miss Dove
schwieg. „Wie seltsam", bemerkte sie so sachlich wie möglich und drehte sich auf den Bauch. „Für gewöhnlich sind die Amerikaner viel freizügiger in solchen Dingen als wir."
„Consuelos Vater war zur Hälfte Kubaner, und einer der strengsten und altmodischsten noch dazu. Ihre Mutter war genauso." Ohne sie anzusehen, schnitt Harry Scheiben von dem Käsestück ab. „Wir durften nie miteinander allein sein. Alle unsere Gespräche hatten vor anderen Leuten stattzufinden, außer beim Tanzen. Alles war so ehrbar, so anständig. Das einzige Mal, das ich mit ihr unter vier Augen sprechen durfte, war, als ich sie gebeten habe, mich zu heiraten. Und selbst da stand ihre Mutter gewiss draußen vor der Tür und lauschte."
Emma hörte die Verachtung aus seiner Stimme heraus und wusste nicht, was sie sagen sollte.
„Nachdem wir verlobt waren, durften wir Hand in Hand gehen, und es war uns auch erlaubt, unseren Begleitern ein paar Schritte voraus zu spazieren, wenn wir uns privat unterhalten wollten. Aber wie privat kann ein Gespräch schon sein, wenn man umringt ist von Leuten, die zwar knapp außer Hörweite sind, aber dennoch alles mit ansehen können? An so etwas wie Küssen war überhaupt nicht zu denken." Er hielt einen Moment inne. „Das erste Mal, das ich Consuelo küssen durfte, war nach unserer Trauung." Er lachte freudlos auf. „Ist es da ein Wunder, dass unsere Ehe zum Scheitern verurteilt war? Ich war leidenschaftlich verliebt in eine Frau, besser gesagt, ein Mädchen, das ich gar nicht kannte, und ich hatte auch gar nicht die Gelegenheit, es kennenzulernen. Hätte ich diese Gelegenheit gehabt, hätte ich vielleicht meine Verblendung bemerkt und die Wahrheit begriffen. Aber damals war ich noch so jung, so naiv. Ich spürte, irgendetwas stimmte nicht, aber ich war erst zweiundzwanzig und in einem fremden Land. Ich wollte die Dinge nicht noch komplizierter machen und sie oder ihre Familie kränken. Es war auch wenig hilfreich, dass wir ständig von der amerikanischen Presse belagert wurden. Die Reporter folgten uns überall hin, und die meisten von ihnen dachten, ich wollte sie wegen ihres Geldes heiraten, und sie mich wegen meines Adelstitels und gesellschaftlichen Rangs. Nun ja, zur Hälfte hatten sie ja auch recht, nicht wahr?"
Er hielt die Hände still, der Käse war in kleine Schnipsel zerschnitten. Er, blickte auf. „Consuelo hat mich nie geliebt. Sie war ein siebzehnjähriges Mädchen, das von ihren Eltern gedrängt, genötigt, gezwungen nenne es, wie du willst - worden war, mich zu heiraten. Ich glaube, Estravados sah schon bei unserer ersten Begegnung in mir den künftigen Schwiegersohn. Was ich nicht wusste war, dass. Consuelo längst einen anderen liebte, einen Mann, den ihre Familie absolut unpassend fand."
Emma nickte. „Ja, ich weiß, Mr. Rutherford Mills."
„Sie hatte erfolglos versucht, mit ihm durchzubrennen, was einer der Gründe dafür war, dass man sie so genau im Auge behielt. Sie dachten, Consuelo würde es wieder versuchen. Damals war ich auch nicht viel mehr wert als Mills, aber Estravados mochte mich. Was noch wichtiger für ihn war - ich hatte einen Titel, einen Besitz und einige sehr einflussreiche Beziehungen, und er wollte in England Geschäfte machen. Für ihn war ich ein viel besserer Kandidat für seine Tochter als Mills, der ihr gar nichts bieten konnte."
Harry schenkte sich ein Glas Wein ein und leerte es in einem Zug. „Und so, nach einer kurzen, aber sorgfältig überwachten Zeit des Umwerbens, einer schnellen Verlobung und einer noch hastiger anberaumten, standesgemäßen Hochzeit hatte man plötzlich einen Viscount in der Familie, den Zugang zu den besseren Kreisen in England, keinen unstandesgemäßen Verehrer mehr, der drohte, die Tochter zu entführen, und alle waren glücklich. Alle außer Consuelo, die die folgenden vier Jahre in elendem Leid verbrachte und sich mit Selbstvorwürfen überschüttete, wenn sie mich nicht gerade mit Vorhaltungen überhäufte. Ich habe versucht, sie glücklich zu machen. Weiß Gott, ich habe es versucht ..."
Er verstummte plötzlich, stand auf und ging ein paar Schritte zu einem Baum, an den er sich lehnte und über die Wiese starrte, das Profil Emma zugewandt. „Aber man kann niemanden glücklich machen, wenn der es nicht will. Man kann niemanden dazu zwingen, einen zu lieben. Erst kommt die Enttäuschung, dann die Verbitterung. Und der Schmerz, wenn man realisiert, dass die eigenen Gefühle nicht erwidert werden. Wenn man
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