Ich muss Sie küssen, Miss Dove
sahen.
Harry fuhr auf dem Fluss mit ihr Stechkahn. Emma konnte zwar nicht schwimmen, aber er nahm sie trotz ihrer Bedenken mit. Er versicherte, dass ihr das Wasser höchstens bis zum Hals gehen würde, und schwor, ihr eines Tages das Schwimmen beizubringen. Sie wiederum schwor, dass dieser Tag nie kommen würde, und darüber entbrannte eine lebhafte Diskussion. Ihre Ansichten interessierten ihn, und so debattierten sie auch leidenschaftlich über andere Dinge; über Politik beispielsweise, über Etikette, über die Bedeutung der Ehe in der Gesellschaft, oder ob Blake ein besserer Dichter war als Tennyson. Mindestens ein Dutzend Mal am Tag brachte er sie zum Lachen, und sie fand heraus, dass auch sie ihn zum Lachen bringen konnte, vor allem, wenn sie es gar nicht darauf anlegte. Aber das machte ihr nichts aus, sie liebte den Klang seines Lachens.
Er weihte sie in die Geheimnisse des Pokerns ein, und Emma machte eine weitere, höchst erstaunliche Entdeckung — ihr gefielen Glücksspiele. Zwar sagte sie zu Harry, dass sie niemals um echtes Geld spielen könnte, was ihr einen weiteren Vorwurf einbrachte, knauserig zu sein. Aber für sie war es genauso aufregend, Streichhölzer zu benutzen, von denen, jedes für eine Guinea stehen sollte, denn ihr ging es vor allem um die Herausforderung, sich mit ihm im Spiel zu messen. Außerdem hatte sie ein geradezu unwahrscheinliches Anfängerglück.
,,Ich kann nichts mehr setzen", sagte er, als sie ihren Einsatz noch einmal um zehn Streichhölzer erhöhte, nachdem sie ihm bereits alle seine Hölzchen abgenommen hatte.
„Wie schade." Emma schaute ihn über den Kartentisch an, und ihr Schmunzeln strafte ihre Worte Lügen. „Dann musst du wohl leider passen."
„Nicht unbedingt, Emma." Er verstummte. „Man kann auch noch anderes einsetzen als Geld."
Beim Klang seiner Stimme erschauerte sie wohlig. Sie blickte verstohlen auf die vier Könige in ihrer Hand und sah dann wieder Harry betont unschuldsvoll an. „Hast du denn etwas, das ich haben möchte?"
„Jede Menge. Die Frage ist nur, was wünschst du dir am meisten?"
Ihr Herz klopfte schneller vor Aufregung, aber sie ließ sich nichts anmerken. Stattdessen gab sie sich ganz von oben herab. „Ich glaube mich zu erinnern, dass du mal gesagt hast, eines Tages würdest du meine Beine von oben bis unten küssen."
„Das ist richtig. Und das wünschst du dir jetzt?"
„Mehr als das, Harry. Nicht nur einmal. Und nicht nur die Beine." Sie lächelte. „Eine Stunde lang. Überall."
„Eine Stunde?" Er stöhnte auf. „So lange, halte ich das niemals aus!"
„Eine Stunde, Harry. Nur küssen. Überall."
„Darf ich dich denn auch überall berühren?"
Sie neigte den Kopf zu Seite und tat, als müsste sie darüber nachdenken. „Ja, das sei dir erlaubt. Aber sonst nichts, eine ganze, Stunde lang."
„Also gut, wenn du denn so darauf bestehst.” Er zeigte seine Karten.
Emma kam zu ihrer ganzen Stunde, eine Stunde voller hinreißender Küsse und Berührungen, aber weil Harry grollte, dass ein so langes Vorspiel die reinste Tortur für einen Mann wäre, spielten sie nie wieder um Streichhölzer.
Emma begriff, dass sie im ersten Monat ihrer Affäre schon etwas sehr Wertvolles gelernt hatte — sich selbst eingestehen zu können, was man wollte. Und wie man darum bat.
20. KAPITEL
Ich habe mittlerweile eine aufrichtige Vorliebe für das Landleben entwickelt.
Lord Marlowes Junggesellenmagazin, 1893
Am darauffolgenden Wochenende setzte Harry endlich seinen Willen durch und brachte Emma das Schwimmen bei. Es bedurfte jedoch einiger Überzeugungskraft. Zuerst hatte er versucht, sie zu überreden, in dem er darauf hinwies, dass jeder Mensch schon allein aus Sicherheitsgründen schwimmen können müsste. Das beeindruckte sie nicht.
„Das ist lieb von dir, Harry", antwortete sie und drehte sich in der Hängematte neben ihm um, um die Wange an seine Schulter zu schmiegen. „Aber im Grunde unnötig, denn ich gehe nirgendwo hin, wo mir das Wasser bis über den Kopf reicht."
Er hatte nicht vor aufzugeben. „Das sieht dir gar nicht ähnlich. Es macht dir so viel Freude, Neues zu entdecken. Außerdem bist du ein vernünftiger Mensch, und sich zu weigern, schwimmen zu lernen, ist nicht vernünftig."
„Vernünftig." Sie blickte ihn an und verzog das Gesicht. „Was für ein schreckliches Wort."
„Es ist nicht schrecklich." Er küsste sie auf die Nasenspitze. „Ich mag meine vernünftige Emma."
Sie schüttelte trotzdem den Kopf, und
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