Ich muss Sie küssen, Miss Dove
gar keine so schlechte Idee."
Harry nickte nachdrücklich, und als die Dame des Hauses abermals aufstand, folgte er ihr. In der offenen Tür blieben sie stehen, und Harry flüsterte ihr etwas ins Ohr. Mrs. Morris machte ein verwirrtes Gesicht, tat aber offenbar, worum Harry sie gebeten hatte. Sie verließ den Salon und schloss die Tür hinter sich.
Emma sah Harry misstrauisch an, als er auf sie zu kam. Sie blickte an ihm vor bei zur geschlossenen Tür und wieder zu ihm. „Was hast du zu ihr gesagt?", wollte sie wissen.
„Ich bin kein besonders geduldiger Mensch, Emma, und nun ist meine Geduld restlos aufgebraucht. Ich habe ihr gesagt, ich würde gern unter vier Augen mit dir sprechen, und sie gebeten, uns einen Moment allein zu lassen."
Aufstöhnend schlug Emma die Hände vors Gesicht. „Es gibt nur einen ehrbaren Grund, warum ein unverheirateter Mann darum bitten darf, unter vier Augen mit einer unverheirateten Frau sprechen, nämlich um ihr einen Heiratsantrag zu machen." Sie hob den Kopf und sah ihn finster an. „Und wir beide wissen, dass ein Antrag von dir nur ein höchst zweifelhafter sein kann", fügte sie hinzu.
„Wir haben nicht viel Zeit." Er zog sie in seine Arme und spielte seine letzte Karte aus. „Nimm mich mit nach oben in deine Wohnung", bat er sie und bedeckte ihr Gesicht mit Küssen. „Lass uns uns endlich lieben und dieser Qual ein Ende bereiten."
„Das geht nicht!", begehrte sie auf. „Miss Morris würde uns sehen und Bescheid wissen."
„Ich werde sie wieder losschicken, irgendetwas zu besorgen. Ich komme über die Feuertreppe." Langsam fiel ihm nichts mehr ein, Erregung und Verzweiflung zermürbten ihn. „Ich werde die Frau dafür bezahlen, dass sie den Mund hält."
Er hatte die Worte kaum ausgesprochen, da wusste er auch schon, dass er einen Fehler gemacht hatte.
„Mit Geld lässt sich alles kaufen, nicht wahr?" Emma riss sich von ihm los. „Mrs. Morris ist eine freundliche, durch und durch anständige Frau. Sie würde dein Geld nicht annehmen. Sie würde auch nicht augenzwinkernd darüber hinwegschauen. Und selbst wenn sie es täte, so würde es dennoch keine Rolle spielen. Denn ich müsste ihr hinterher immer noch offen ins Gesicht blicken können."
„Na und? Du hättest schließlich kein rotes Brandmal auf der Stirn, falls du das befürchtest!"
„Verstehst du denn nicht? Sie war eine Freundin meiner Tante. Sie kennt mich gut. Ich würde ihr jeden Tag begegnen, und sie und ich, wir wüssten beide, dass ich ... dass ich ..." Emmas Stimme bebte ein wenig. „Dass ich mich unkeusch verhalten habe."
„Um Gottes willen, Emma, sie ist nicht deine Freundin, sie war die Freundin deiner Tante! Und du brauchst sie auch nicht mehr zu treffen, wenn du das nicht willst. Du kannst umziehen. Ich besorge dir eine neue Wohnung. Oder besser noch ein Haus.”
„So ähnlich wie Juliette Bordeaux?" Sie betrachtete ihn prüfend, und ihr Blick wurde verächtlich. „Bekomme ich in ein paar Monaten auch ein Collier aus Topasen und Diamanten zusammen mit einem kurzen Abschiedsbrief, überbracht von deinem Sekretär?"
Er fühlte sich, als hätte man ihn geohrfeigt. „Das ist nicht das Gleiche."
„Ach nein? Worin besteht denn der Unterschied?" Sie verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich bin keine Cancantänzerin in einem Varietétheater. Ich verdiene es, dass man mir entweder auf anständige Weise den Hof macht oder gar nicht!"
Er hätte ahnen müssen, dass es so kommen würde. „Du möchtest, dass ich dich heirate, nicht wahr?"
Sie wirkte so entsetzt, dass es ihn fast gekränkt hätte, wenn er nicht gleichzeitig erleichtert gewesen wäre. „Dich heiraten?", rief sie aus. „Um Himmels willen, nein!" Sie sah ihn mit einer Missbilligung an, die ihrer hochheiligen Tante alle Ehre gemacht hätte. „Keine Frau mit Verstand würde dich jemals ehelichen. Du bist der schlechteste Heiratskandidat, den man sich denken kann."
„Richtig. Schön, dass wir das geklärt haben."
„Unabhängig davon, Harry, will ich überhaupt nicht heiraten! Warum sollte ich? Ich bin beruflich sehr erfolgreich. Ich bin Mrs. Bartleby."
„Du bist nicht Mrs. Bartleby", entfuhr es ihm. „Deine Tante Lydia ist Mrs. Bartleby."
„Das ist nicht wahr! Alle Ideen in meinen Artikeln stammen von mir."
„Ein paar davon, ja, das gebe ich zu, wie diese Origamigeschichte und die Serviettenringe, aber die Stimme dahinter, das bist nicht du! Ich habe genug im Leben veröffentlicht, um mich damit auszukennen. Du
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