Ich musste sie kaputtmachen: Anatomie eines Jahrhundert-Mörders (German Edition)
müssen.
Im August 1965, vier Monate nach seiner Entlassung, hatte er Elvira geheiratet, eine Bekannte von früher, die auch während der entwürdigenden Haft für ihn dagewesen war. In den folgenden Jahren hatte er sich um Arbeit bemüht, sogar erfolgreich. Dann waren die beiden Söhne gekommen. Doch als er geglaubt hatte, endlich eine Lebensstellung in einer Zoohandlung gefunden zu haben, hatte ihn seine Vergangenheit wieder eingeholt. Er war von einem Kunden wiedererkannt worden, der früher im Zuchthaus gearbeitet hatte. Nach der fristlosen Kündigung hatte er keinen Job mehr gefunden, jetzt lebte die Familie von seiner »Stütze« und dem Lohn seiner Frau.
Den Ruf des »Mädchenmörders« war er auch nach der Haftentlassung nicht losgeworden, dieser Makel klebte an seinem Namen wie ein Kaugummi. Fassungslos hatte er miterleben müssen, wie Elvira und die Kinder verunglimpft worden waren: »Mörderbrut«. Aber jetzt sah er die Möglichkeit, sich doch noch zu rehabilitieren, der Gedanke ließ ihn nicht mehr los: mit einem Tchibo-Taschentuch!
»Ich möchte bitte zu Herrn Hauptkommissar Kontermann.« Meckler stand vor der Pforte des Polizeipräsidiums. Er hätte auch bei der Kripo anrufen können, aber es erschien ihm ratsam, eine derart delikate und schwer zu verstehende Angelegenheit im persönlichen Gespräch zu erörtern. Schließlich musste er den Chef der Mordkommission davon überzeugen, dass sich die Essener Kripo, die Staatsanwaltschaft und zwei Gerichte geirrt hatten. Keine leichte Aufgabe.
Eine Stunde später verließ Meckler das Präsidium. Er war unschlüssig, wusste nicht, was er davon halten sollte. Der Kommissar hatte sich bedeckt gehalten, ihn reden lassen und selber so gut wie nichts gesagt. Außer: »Wir kümmern uns darum.« Was das zu bedeuten hatte, konnte er nicht einschätzen. Die erste Euphorie war verflogen, jetzt hieß es abwarten. Das hatte er zwar mittlerweile schmerzhaft lernen müssen, aber es fiel ihm immer noch unsäglich schwer.
Kroll hatte den Vormittag über vier Kripobeamten demonstriert und anschließend erklärt, wie er am 21. Juni 1967 in Bottrop-Kirchhellen über die zehnjährige Christa Enders hergefallen war. Jetzt saß er wieder im Vernehmungszimmer der Mordkommission.
Thomas Wippermann stellte die Frage, die Kroll täglich mindestens einmal beantworten musste: »Achim, ist dir zu anderen Sachen noch etwas eingefallen?«
Kroll zögerte, doch schon nach kurzer Zeit antwortete er: »In Essen sind noch zwei Sachen passiert.«
»Kannst du uns mehr darüber erzählen?«
Kopfschütteln. Minuten später ergänzte er: »Fahrt mich da hin. Ich zeig’ euch, wo ich’s gemacht hab’.«
Friedhelm Kontermann ordnete daraufhin die sofortige »Ausführung« Krolls an. Er sollte den Beamten die Tatorte zeigen. Und tatsächlich gelang es Kroll zwei Stunden später, zunächst die kleine Waldlichtung am Ufer des Baldeneysees wiederzufinden. Dort hatte er vor fast genau sieben Jahren Martha Höller zu Tode gewürgt, drei Tage vor ihrem 61. Geburtstag. Kontermann war sichtlich zufrieden. Allerdings bezweifelte er, dass Kroll auch für den Fall »Michaela Kurth« infrage kam. Einerseits war der Mörder des Mädchens schon ermittelt und verurteilt worden, andererseits unterschied diese Tat sich von den übrigen in einem bedeutsamen Detail: Das Opfer war weder missbraucht noch vergewaltigt worden. Das passte einfach nicht zum »Triebtäter« Kroll. Dennoch fuhr man mit ihm in die Nähe des Tatortes am Stadtwald.
»Achim, du kennst das Spiel. Steig mal aus und schau dich um.«
Kroll verließ den Wagen und verschaffte sich zunächst einen Überblick. »Kenn’ ich«, flüsterte er den Beamten zu. Dann ging er auf einem breiten befestigten Weg in den Wald hinein, vier Ermittler stets hinter ihm. Er inspizierte die Gegend. »War der Wald hier früher nicht dichter?« Die Kriminalisten konnten und durften nicht antworten. Kroll ging weiter. Er sah sich immer mal wieder um, betrachtete die Umgebung. Dann erklärte er: »Der Wald war hier dichter. Da standen mehr Sträucher und so’n Zeug. Der Weg war anders. Ohne Steine.«
Nach einer Weile orientierte er sich scharf nach links und blieb abrupt stehen. »Da.« Kroll zeigte zu einer Stelle, die etwa 40 Meter vom Weg entfernt und mit dichtem Strauchwerk und Farnkraut bewachsen war. Wenige Augenblicke später machte er vor einem größeren Strauch halt. »Hier is’ es. Hier muss es gewesen sein.« Kontermann war verblüfft. Kroll hatte
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