Ich musste sie kaputtmachen: Anatomie eines Jahrhundert-Mörders (German Edition)
lassen. Richter Schimmann verlas bestimmte Passagen der Vernehmungsprotokolle: »Während meiner Vernehmung wurde ich ruhig behandelt. Mir wurden keine Versprechungen gemacht, und ich wurde auch nicht angeschrien. Ich habe keine Beanstandungen zu machen. Es wurde mir Gelegenheit gegeben, von meinen Zigaretten auf meinen Wunsch hin zu rauchen, und ich bekam auch auf meinen Wunsch hin Wasser zu trinken. Ich habe hier wahrheitsgemäße Angaben gemacht und habe der Vernehmung voll und ganz folgen können. Gegen das Niedergeschriebene habe ich keine Einwände. Selbst von 23.43 Uhr bis 0.16 Uhr gelesen, genehmigt und unterschrieben: Joachim Kroll.«
Oder: »Ich habe vorhin mein Mittagessen im Polizeigewahrsam eingenommen. Es hat mir gut geschmeckt. Ich bin ausgeruht und kann einer Vernehmung folgen, wie auch bereits vorher habe ich Wasser und meine eigenen Zigaretten auf meinen Wunsch hin erhalten. Ich habe mich mit den vernehmenden Beamten nochmals über die Sache mit dem Mädchen in Walsum unterhalten. Ich habe dabei nähere Einzelheiten geschildert, die ich in meiner gestrigen Vernehmung noch nicht geschildert habe. Ich bin nun bereit, weitere wahrheitsgemäße Angaben zu machen. Ich möchte nun noch sagen, daß ich gestern gelogen habe. Es ist nicht richtig, daß ich zum ersten Mal in den Duisburger Norden gefahren bin, als die Sache mit diesem Mädchen passierte.«
Richter Schimmann stellte vorwiegend freundliche Fragen: »Herr Kroll. Wissen Sie, wie sich das liest? Als wenn sie bereit wären, auszupacken.« Doch der Vorsitzende erntete zumeist verständnisloses Kopfschütteln oder ein Achselzucken. Beharrlich fragte Schimmann immer wieder dasselbe: »Haben Sie das gesagt?« Und Kroll entgegnete nur stereotyp: »Kann sein, weiß ich nich’.«
Der Gutachter wusste es besser. Dr. Herbert Maisch, ein international anerkannter Psychologe aus Hamburg, resümierte, dass die Fragen der Kripobeamten nur in seltenen Fällen »suggestiven Charakter« gehabt, jedoch in keinem Fall tatsächlich entsprechende Wirkungen bei Kroll ausgelöst hätten. Auch Anzeichen für Ermüdung oder Konzentrationsschwächen des Angeklagten seien nicht feststellbar gewesen. Zudem erfüllten Krolls Schilderungen zahlreiche »Realitätskriterien«, die von »individueller Seltenheit« und »scheinbarer forensischer Nebensächlichkeit« gekennzeichnet seien. Kroll hatte also jeweils Details genannt und beschrieben, die nur der Täter wissen konnte.
Der Angeklagte habe keine »rein schablonenhaften Tathergangsbeschreibungen, sondern aus einer Verknüpfung von äußeren Geschehnissen mit situativ emotionalen Zuständen oder mit biographisch sexuellen Phasen berichtet«. Kroll hatte also nach Auffassung des Experten »reale Erlebnisse« geschildert. Krolls Verteidigern, die vehement eingewendet hatten, ihr Mandant habe alles »blind geraten« oder »erfunden«, erteilte der Sachverständige eine herbe Abfuhr. Das sei »geradezu unsinnig« und »völlig unmöglich«, erklärte er den Anwälten.
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»Keine Bergmannskapelle hat ›Glück auf! Glück auf!‹ gespielt, Bier wurde nicht ausgeschenkt, es gab keine Blumen, und die Justizministerin des Landes Nordrhein-Westfalen hat kein Telegramm geschickt. Auch haben sich weder der Oberbürgermeister noch der Oberstadtdirektor von Duisburg in ihrem Landgericht sehen lassen.
Der 100. Sitzungstag in einem Strafprozeß ist nämlich, anders als der 100. Geburtstag eines Mitbürgers oder einer Mitbürgerin, nicht gerade ein Freudentag. Wer möchte schon in herzlichem Ton das Beste für weitere 100 Tage wünschen oder die ungebrochene Rüstigkeit der Verfahrensbeteiligten preisen.
Seit dem 4. Oktober 1979 verhandelt die Schwurgerichtskammer des Landgerichts Duisburg über Joachim Georg Kroll, inzwischen 48. Es geht um acht Morde und einen Mordversuch, und dieser Tage hieß es einmal wieder, nun werde die Beweisaufnahme aber wirklich am 30. September abgeschlossen werden. Wirklich?«
So kommentierte Gerhard Mauz, seinerzeit der wohl renommierteste Gerichtsreporter hierzulande und für das Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL schreibend, das fragwürdige Prozessjubiläum. Knapp zwei Jahre waren seit Verhandlungsbeginn verstrichen, in denen der Prozess sich dahingeschleppt hatte. Der psychologische Sachverständige Dr. Erich Roth, drei Kriminalbeamte und der Vater eines Opfers konnten nicht mehr gehört werden, weil sie
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