Ich musste sie kaputtmachen: Anatomie eines Jahrhundert-Mörders (German Edition)
geschlagen, wie er sie zu Boden gedrückt, wie er auf sie eingestochen, wie er ihre Kleidung hochgeschoben, wie er ihren Körper begrabscht hatte. Wenn er daran dachte, kam das »komische Gefühl«. Dann masturbierte er. Das war wie eine Erlösung.
Restlos befriedigt hatte ihn die Tat indes nicht. Schon kurz nachdem er über die junge Frau hergefallen war, hatte er so empfunden. Das konnte doch nicht alles gewesen sein. Ihm war etwas vorenthalten worden. Er hatte sich das anders vorgestellt, er hatte mit seinem Opfer auch verkehren wollen. Aber bevor er in den toten Körper hatte eindringen können, war es ihm wieder passiert – so wie bei Rita. Die Spermaspuren an Renates Kleidung zeugten von seinem Unvermögen. Danach hatte er sich nochmals aufgeilen wollen. Mit dem Messer hatte er an Oberschenkel und Gesäß vorsichtig herumgeschnitten, dann einmal zugestochen. Aber es hatte ihm nichts gebracht.
Immer wenn er sich in Gedanken über den Leichnam beugte, das Messer noch in der Hand, setzte die Ernüchterung ein. Augenblicke später war er nicht mehr Regisseur, sondern nur noch Statist. Aus dem Jäger wurde wieder der Geächtete, der Gejagte, der Gehetzte. Dann starrte er gebannt auf das, was er angerichtet hatte: Halbnackt und blutbesudelt lag sie vor ihm. Schließlich war alles wieder präsent. Urplötzlich. Als hätte er sie gerade erst geschändet. Die Angst überwältigte das Verlangen, er wurde aus seinen ekstatischen Trugbildern herausgeschleudert, hinein in den Albtraum, der sein Leben war.
Er musste sich Fragen gefallen lassen: Hat mich jemand im Bus erkannt? Oder im Zug? Oder auf der Landstraße? Vielleicht ein Autofahrer? Da war doch der mit dem Traktor! Hat der mich wirklich nich’ gesehen, als ich mich hinter den Büschen verkrochen hab’? Und im Wald! Hab’ ich da was übersehen? Hab’ ich da was liegen gelassen? Oder verloren? Hätt’ ich sie nich’ besser mit Laub und Zweigen zudecken sollen? Und ihre Klamotten! Hätt’ ich die nich’ verstecken müssen? Hat mich jemand gesehen, als ich aus dem Wald gekommen bin? Finden die das Messer? Hab’ ich’s weit genug weggeworfen?
Nicht jede Frage konnte er sicher beantworten. Bestimmte Passagen des Geschehenen hatten rauschhaften, affektiven Charakter gehabt. Er konnte sich nicht zweifelsfrei erinnern. Es gab mehrere Möglichkeiten.
Renate Göbel selbst spielte in seinen Überlegungen nur eine Nebenrolle. Sie war nicht mehr als ein austauschbares Objekt seiner obskuren Begierde. Er bereute nichts. Die hat’s doch nich’ besser verdient, das Miststück. Hab’ se doch nur poppen wollen. Hab’ se doch auch noch gefragt, ob se will! Gelacht hat se nur. Blöd gelacht hat se. Und dann hat se mich auch noch beschimpft: Idiot. Penner. Frustration und Obsession hatten sich für einen Moment gefunden, ein hochexplosives Gemisch ergeben, wie eine Treibladung gewirkt. Er hatte sich aus seiner Sicht nichts vorzuwerfen. Nur die Befürchtung, geschnappt zu werden, ließ ihn nicht zur Ruhe kommen.
Er schlief und aß schlecht. Oder gar nicht. Wenn er sich mal aus dem Haus traute, dann erst am frühen Abend, wenn es dunkel war. Er schlenderte ziellos durch die Straßen, den Kopf geduckt, die Hände in den Hosentaschen. Wenn er so lief, hatte er das Gefühl, sie würden ihn nicht bekommen. Zu Hause war das anders. Da hätten die vor der Tür stehen können, er wäre ihnen ausgeliefert gewesen. Anfangs hatte er gehofft, die Angst würde sich irgendwann verflüchtigen wie ein übler Geruch. Das Gegenteil war der Fall, es wurde schlimmer.
Nicht nur die Befürchtung, für unabsehbare Zeit in einem dunklen Verlies zu versauern, machte ihm das Leben schwer. Genauso belastend war für ihn, dass er nicht einschätzen konnte, wie weit die Ermittler mit ihrer Untersuchung waren. Er wusste nicht, was die wussten.
11
Die Fahnder der »Mordkommission Renate« hatten zwei Wochen nach der Tat eine erste heiße Spur. In den Lokalausgaben der Tageszeitungen Glocke und Dreingau war ausführlich über den Mord berichtet worden. Eine Arzthelferin hatte das Opfer auf dem Foto in der Zeitung wiedererkannt. Helga Bartling arbeitete in Walstedde. Während der Mittagspause wollte sie Renate Göbel begegnet sein, auf der Hauptstraße. Was die Zeugin darüber hinaus zu berichten wusste, löste in Reihen der Beamten hektische Betriebsamkeit aus. »Ich bin mir absolut sicher«, hatte die 26-Jährige
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