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Ich musste sie kaputtmachen: Anatomie eines Jahrhundert-Mörders (German Edition)

Ich musste sie kaputtmachen: Anatomie eines Jahrhundert-Mörders (German Edition)

Titel: Ich musste sie kaputtmachen: Anatomie eines Jahrhundert-Mörders (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Harbort
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und in der Nähe von Mannheim.
    Was viele Bürger über den »Unmenschen« dachten, formulierte das Badische Volksecho zum Prozessauftakt in großen schwarzen Lettern: »Prigan – eine Bestie in Menschengestalt.« Auch der »Würger« war von einem Psychiater untersucht worden. Der offenbarte dem Gericht, der Angeklagte »neigt zu Asozialität und Verbrechen«. Die Erklärung hierfür wollte jedem einleuchten, sie war unwiderlegbar – eine »erbliche Vorbelastung« sollte »ursächlich« gewesen sein. Also wurde auch der damals 33-Jährige bedenkenlos und unwidersprochen zum »geborenen Verbrecher« gestempelt. Schließlich hatte der Seelenklempner zudem »eine auffallende Häufung von Entartungsmerkmalen« festgestellt: »spitz angewachsene Augenbrauen«, aber auch ein »aufgehobener Würgereflex«.
    Das genügte dem (v)erkennenden Gericht, Prigan wurde zu »dreimal lebenslanges Zuchthaus« verurteilt. Eine dringend notwendige psychiatrische Behandlung blieb ihm verwehrt, der »Triebmörder« galt als »voll schuldfähig«. Die Begründung: »(…) Sein ganzes Tun liegt so auf einer Ebene, die klar erkennen lässt, dass sich hier ein Mensch planvoll kriminell nach furchtbaren, aber gleich bleibenden eigenen Richtlinien betätigt, ein Mensch, der seine Triebe tierisch stillt, aber in planvoller Begehung, die an seinem klaren Gedankenablauf keinen Zweifel lassen. Gewiss ist er ein Psychopath, ein Entarteter, mit Neigung zu allem, was nur asozial genannt werden kann. Aber für das Vorliegen der Voraussetzungen einer verminderten Schuldfähigkeit findet das Gericht nach psychologischem Erforschen der Handlungen und der Täterpersönlichkeit ebenso wenig einen Anhalt wie der Psychiater von der gleichen und der medizinischen Betrachtungsweise her.«
    Man wurde sich (fast) immer einig, »Lustmörder« waren nicht menschlich, sie sahen nur so aus. Hinter der Maske des Biedermanns lauerte ein Mordpläne schmiedendes »Ungeheuer«, das lediglich einem genetischen Defekt seine Existenz schuldete. Wer sich so aus der Gesellschaft herausgemordet hatte, der musste »tierisch« sein. Und was mit einem »delinquente nato« (dem »geborenen Kriminellen«) zu geschehen hatte, war unzweifelhaft: wegsperren – und zwar für immer.
    Diese »Lehrmeinung« verschaffte sich naturgemäß auch in Reihen der Kriminalpolizei Gehör. Und sie wurde akzeptiert. Das Fatale dabei: Kriminalisten jagten Phantome, Fabelwesen; menschenähnliche Kreaturen mit einem vermeintlich immer gleichen Persönlichkeitsprofil, angeblich identischen Verhaltensmustern. Aber was tatsächlich in einem solchen »Monster« vor sich ging, wusste niemand.

10
                        
                       Sein Vater hatte ihn schon so komisch angeschaut, seine Geschwister auch. Jedenfalls war es ihm so vorgekommen. Hatten sie etwas bemerkt, als er danach spätabends heimgekehrt war? Wildfremde Menschen musterten ihn seitdem unentwegt – als wenn sie ihn verdächtigen würden, als wenn sie davon wüssten. Einmal war er einem Schutzmann begegnet, zufällig. Als der Polizist auf ihn zugelaufen war, hatte er sich in die Hosen gemacht. Jetzt is’ alles aus! war ihm durch den Kopf geschossen. Falscher Alarm. Der Beamte hatte ihn nicht mal angesprochen, war schnellen Schrittes vorbeigeeilt.
    Er hatte große Angst. Das war schrecklich. Er hatte sich zeitlebens vor vielen Dingen gefürchtet: den Schlägen des Vaters, den Verleumdungen der Geschwister, den Verunglimpfungen der Mitschüler, den Schmähungen der Mädchen. Jetzt war es anders. Da formierte sich etwas Endgültiges, ein Abgrund. Er wurde das Gefühl nicht los, dass da etwas Bedrohliches auf ihn zukam – wie ein Eisberg, der sich erst kurz vor der unvermeidbaren Katastrophe aus der Nebelbank schält. Aber die Gefahr blieb unsichtbar, unberechenbar. Wann, wo und wie er geschnappt werden würde, das hatte er schon viele Male phantasiert. Aber tatsächlich war nichts passiert. Noch nicht. Diese Ungewissheit quälte ihn. Er hatte die Kontrolle verloren, er war vollkommen verunsichert. Ihm waren die Hände gebunden. Er konnte nur abwarten, sich verkriechen und hoffen, dass sie nicht kommen und ihn holen würden.
    Jeden Tag hockte er zu Hause und stierte aus dem Fenster. Stundenlang. Ablenkung gab es nicht. Immer wieder ließ er es passieren. Schritt für Schritt wurde Vergangenes gegenwärtig: wie er sie angesprochen, wie sie ihn vernatzt, wie er sie in den Wald gezerrt, wie er sie

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