Ich musste sie kaputtmachen: Anatomie eines Jahrhundert-Mörders (German Edition)
Auch die lediglich im Schrittbereich des Schlüpfers und am unteren Teil des Rocks nachgewiesenen Spermaspuren sprachen für einen natürlichen Handlungsablauf. Zudem war das Opfer 180 Kilometer von seinem Wohnort entfernt getötet worden, zweifellos untypisch für eine »Beziehungstat«. Die Kommission verständigte sich auf die wahrscheinlichste Ermittlungsrichtung: Renate war ihrem Mörder »zufällig begegnet«. Als »tatkritischer Zeitraum« durfte nach Einschätzung des Gerichtsmediziners der 6. Februar gelten, Renate Göbel war »zwischen 12 und 16 Uhr« getötet worden.
Mittlerweile konnte das Institut für Rechtsmedizin Münster auch einen Untersuchungsbefund vorlegen, der sich mit einem ungewöhnlichen Beweismittel befasste. Etwa einen Meter rechts neben der Leiche, in Höhe des Kniegelenks, war es gefunden worden: ein »relativ frischer« Haufen menschlichen Kots. Die Analysen hatten ergeben, dass das »Asservat 21-55-MK-RE« nicht von Renate Göbel stammte. Das in ihrem Darm vorgefundene Verdaute war »anders gekörnt und wurmfrei«. Dagegen hatte man in dem Kothaufen vom Tatort einen »Madenwurm« entdeckt. Mit »hoher Wahrscheinlichkeit« stammten diese Fäkalien von jenem Mann, der Renate Göbel umgebracht hatte. Die Mediziner vermuteten eine »Angst-Defäkation infolge emotionaler Aufwallung«. Dem Mörder waren offenbar die Nerven durchgegangen. Die Schlussfolgerung der Kommission »Renate«: »wahrscheinlich Ersttäter«.
Aber all diese Hinweise und Erkenntnisse waren zunächst lose Ermittlungsstränge, die noch miteinander verbunden werden mussten. Zunächst galt es, möglichst rasch herauszufinden, wie Renate nach Walstedde gelangt war. Sechs Beamte schwärmten aus. Den Bürgern von Drensteinfurt, Rinkerode, Ahlen, Sendenhorst und Walstedde wurden Fotos des Opfers gezeigt. »Haben Sie diese Frau in den letzten Tagen gesehen?« »Kennen Sie das Mädchen?« Die Beamten ernteten prüfende, neugierige oder erstaunte Blicke, in jedem Fall aber auch ein Kopfschütteln. Eine andere Ermittlungsgruppe wurde losgeschickt, um das Foto von Renate dort vorzulegen, wo Reisende Station machten. Im gesamten Kreis Lüdinghausen wurden Tankstellen, Fernfahrerlokale, Jugendherbergen, Pensionen, Campingplätze und Hotels überprüft. Aber auch hier wollte niemand die junge Frau gesehen haben.
Mittlerweile waren fünf Tage verstrichen, aber keine heiße Spur. Allerdings verfügten die Ermittler nun über nähere Informationen zu Renate Göbel. 1950 war sie als 15-Jährige von ihrer überforderten und gesundheitlich angeschlagenen Mutter in ein Heim gegeben worden, ihren Vater hatte sie kaum gekannt – Friedrich Göbel galt seit Anfang des Krieges in Polen als »vermisst«. Renate war »schwer erziehbar« gewesen, sie hatte häufig die Schule geschwänzt, war immer wieder von zu Hause weggelaufen. Auch in diversen Heimen war der Fürsorgezögling nicht zu halten gewesen. Trotz ihrer Jugend galt sie allgemein als »sexuell erfahren«. Aus ihren Männerbeziehungen hatte sie kein Hehl gemacht. Vornehmlich auf den Autobahnen zwischen Hamburg und Bremen war sie getrampt, hatte dabei regelmäßig im Fernfahrermilieu auch intimen Kontakt gesucht – und gefunden. Von der Polizei war sie mehrfach aufgegriffen und »zurückgeführt« worden; aber schon Tage später hatte sie es nicht mehr ausgehalten und war ausgebüchst.
Es konnte ermittelt werden, dass Renate vom 22. bis zum 29. Dezember 1954 zu ihrer Mutter »beurlaubt« gewesen war. Am 28. Dezember hatte sie sich von ihrer Mutter verabschiedet, angeblich um ins Heim »Birkenhof« zurückzufahren. Dort war sie jedoch nicht angekommen. Renate hatte sich im Januar nachweislich in Oldenburg, Delmenhorst, Bremen, Hamburg und Bremerhaven herumgetrieben, sie war dort aber nie länger als einige Tage geblieben. Derjenige, der sie letztmals lebend gesehen hatte, war Manfred Püttmann, Ausfahrer bei der Hamburger Morgenpost. Der 34-jährige Familienvater hatte ausgesagt: »Am 5. Februar habe ich sie das letzte Mal gesehen. Meine Tour ging von Hamburg nach Bremen, sie wollte mit. Ich habe sie öfter mitgenommen. Wir hatten immer einen bestimmten Treffpunkt. Aber gelaufen ist da nichts zwischen uns. In Bremen habe ich sie dann rausgelassen, auf der mittleren Weserbrücke, so um 4.30 Uhr. Danach habe ich von ihr nichts mehr gehört.«
Manfred Püttmann war nur einer von vielen Fernfahrern, die Renate gekannt hatten. Routinemäßig wurde er überprüft, aber er hatte ein
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