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Ich musste sie kaputtmachen: Anatomie eines Jahrhundert-Mörders (German Edition)

Ich musste sie kaputtmachen: Anatomie eines Jahrhundert-Mörders (German Edition)

Titel: Ich musste sie kaputtmachen: Anatomie eines Jahrhundert-Mörders (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Harbort
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bombensicheres Alibi. Es blieben noch 32 Männer, deren Namen mit Telefonnummer oder Anschrift in ihrem Adressbuch standen. Man hatte das rote Büchlein in ihrem Zimmer im »Birkenhof« gefunden. Da sie dort über anderthalb Monate nicht gewesen war und sie ihre Kontaktadressen in den Wochen vor der Tat sicher benötigt hatte, vermuteten die Ermittler, dass es vielleicht noch ein zweites gab. War dort der Name des Mörders nachzulesen? Hatte er es deshalb mitgenommen?
    Aus Sicht der Kommission lag zweifelsfrei ein Sexualverbrechen vor. Die üblichen Verdächtigen mussten überprüft werden, also jener Personenkreis, der bereits wegen solcher oder ähnlicher Delikte »kriminalpolizeilich in Erscheinung getreten« war. Ganz oben auf der Hitliste standen verurteilte »Triebmörder«.

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                       Carl Großmann. Fritz Haarmann. Peter Kürten. Adolf Seefeld. Bruno Lüdke. Johann Eichhorn. Paul Ogorzov. Rudolf Pleil. Bernhard Prigan. Heinrich Pommerenke.
    Die »großen Lustmörder« waren ein wesentliches oder sogar das zentrale Studienobjekt der »modernen forensischen Psychiatrie«, einer Anfang der fünfziger Jahre in Deutschland noch jungen Wissenschaft. Die Experten für die Seelenheilkunde behaupteten hartnäckig bis stur, »Mordlust« habe vornehmlich etwas mit »Wollust« zu tun. Derjenige, der »monoton dahinschlachtet«, werde von einer »pervers übersteigerten Lust am Töten« angetrieben. Die Ursachen waren auch schnell ausgemacht: »geistige Minderwertigkeit«, »animalische Triebregungen« und »völlige Abnormität«. Mit diesen verschrobenen Etiketten wurden Fundament und Schlüssel für Irrgärten und Irrenhäuser geliefert. Dorthin gehörten nicht nur die »Sex-Bestien«, sondern auch »Psychopathen« und andere Hirngespinste, die ihr Dasein und Sosein den »Forensen« zu verdanken hatten.
    Das Tragische dabei: »Sachverständige« fungierten willig als forensische Allzweckwaffe, produzierten unbeirrt »fachärztliche Gutachten«, um richterliche Unkenntnis zu veredeln. Vermutungen und Hypothesen wurden zur »Lehrmeinung« aufgeblasen, in (zu) vielen »Expertisen« stand himmelschreiender Unsinn geschrieben. Kaum ein Richter wagte zu widersprechen, sie verstanden von all dem zu wenig. Besserwisser bedienten Unwissende, der Trugschluss hatte Hochkonjunktur. Die Folgen waren – zu dieser Zeit wohl unvermeidbare – Fehlurteile, fußend auf psychologischen Vorurteilen und psychiatrischen Vorverurteilungen.
    Ein derart unversöhnliches, vernichtendes, der hochabnormen Persönlichkeit des »Massenmörders« nicht gerecht werdendes Urteil wurde auch im November 1950 gefällt, im so genannten Braunschweiger Prozess. Angeklagt war Rudolf Pleil, gelernter Kellner aus Zöblitz im Erzgebirge. Der 26-Jährige hatte 1946/47 zehn Frauen »bestialisch« umgebracht. Im Grenzgebiet zwischen den Ost- und Westzonen war er über seine gutgläubigen Opfer hergefallen, nachdem er sich als Führer angeboten und den Frauen anschließend bei sich bietender Gelegenheit den Schädel eingeschlagen hatte. Sein lapidarer Kommentar: »Erst hab’ ich se mit dem Hammer umgehauen, dann hab’ ich se bearbeitet.«
    Das Urteil des Gutachters war verheerend. Der Facharzt für Nerven- und Geistesheilkunde der Landesheilanstalt Königslutter wies in seinem 22 Seiten starken Pamphlet zielgenau auf »roheste animalische Triebregungen« bei dem Angeklagten hin, der naturgemäß »wie ein Raubtier« gemordet hatte. Dem »bedenkenlosen Triebwesen«, dem »sexuell pervers Degenerierten« fehle »das eigentlich Menschliche fast völlig«, hieß es. Die Ursache für das Morden des Alkoholikers, der zeitlebens unter schweren epileptischen Anfällen litt, lag auf der Hand: »Pleil ist der geborene Verbrecher.« Und die »blutdürstige Bestie« sollte strafrechtlich »voll verantwortlich« gewesen sein. Das Gericht folgte der Einschätzung des »erfahrenen und kompetenten Sachverständigen«, die unabdingbare Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik wurde verworfen. Sieben Jahre später fand man Pleil in seiner Einzelzelle, erhängt. Er hatte es »nicht mehr ausgehalten«.
    Ähnlich erging es Bernhard Prigan. Dem Gelegenheitsarbeiter wurde über die Jahreswende 1953/54 vor dem Schwurgericht in Mannheim der Prozess gemacht. Die Tatvorwürfe: neben zehn »Notzuchtverbrechen« auch »dreifacher Lustmord«, verübt binnen drei Monaten an jungen Frauen in Oberhausen, Düsseldorf

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