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Ich musste sie kaputtmachen: Anatomie eines Jahrhundert-Mörders (German Edition)

Ich musste sie kaputtmachen: Anatomie eines Jahrhundert-Mörders (German Edition)

Titel: Ich musste sie kaputtmachen: Anatomie eines Jahrhundert-Mörders (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Harbort
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beteuert, »die war nicht allein. Sie war in Begleitung eines Mannes.« Die Beschreibung des Unbekannten war nicht präzise, aber brauchbar: »Unter 40 Jahre alt, 1,65 bis 1,70 Meter groß, schlank, bräunlich gekleidet, und der hatte einen Hut auf.«
    Die Helga Bartling vernehmenden Beamten hielten ihre Aussage für »glaubwürdig«. Hatte der Mann mit Hut Renate Göbel angesprochen, ihr Vertrauen gewonnen, sie begleitet, an den Tatort gelockt und dort umgebracht? Einige Mitglieder der Kommission waren davon überzeugt. Zumal: Renate und der Unbekannte waren in Richtung des späteren Tatorts gelaufen, und dieser Tathergang passte zum Profil des Opfers. Die 19-Jährige galt als »kontaktfreudig«, »abenteuerlustig«, »unvorsichtig«, Fremden gegenüber »aufgeschlossen«.
    Alle Verbrecherkarteien des Landkreises Lüdinghausen wurden gesichtet. Jeder Mann, der so alt, so groß und so gebaut war wie Renates Begleiter, gehörte ab sofort zum Kreis der Verdächtigen. Helga Bartling wurden im Polizeipräsidium Münster stapelweise Bilder vorgelegt. »War es der?« Kopfschütteln. Das nächste Foto. »Was ist mit dem?« »Nein.« Einige Male stutzte die Zeugin. Die Abgebildeten hatten »Ähnlichkeit mit dem«. Nach längerem Überlegen gab sie dann doch Entwarnung: »Wohl eher nicht.« Anderthalb Stunden dauerte die »Wahllichtbildvorlage«, das Ergebnis war ernüchternd. »Ich bin mir ziemlich sicher«, resümierte Helga Bartling, »der war nicht dabei.«
    Aber es gab noch andere heiße Kandidaten. 32 Männer rückten nun in den Focus der Ermittlungen. Ihre Namen oder Telefonnummern standen in Renate Göbels Adressbuch. Allesamt wurden sie ausfindig gemacht, vornehmlich in Norddeutschland. Drei von ihnen erfüllten die Auswahlkriterien. Sie wurden fotografiert, ihre Bilder Helga Bartling gezeigt. »Lassen Sie sich ruhig Zeit damit.« Die Beamten waren sich durchaus der Gefahr einer »Falsch-Identifizierung« bewusst – insbesondere, wenn Zeugen bei einer »Kapitalsache« unter Erfolgsdruck geraten oder zu geraten glauben. Fünf Minuten später löste sich die Anspannung der Kriminalisten. Allerdings war das Ergebnis frustrierend: dreimal »nein«. Helga Bartling hatte sich entschieden.
    Am 22. Februar erreichte die Kommission die nächste Hiobsbotschaft. Das Institut für Rechtsmedizin der Universität Münster teilte mit, dass die an der Kleidung von Renate Göbel gefundenen Spermaspuren »nicht auswertbar« seien. Der Grund: »Wegen der Verschmutzung ist eine genauere Untersuchung nicht möglich.« Die Ermittler hatten gehofft, die »Blutgruppenzugehörigkeit« des Täters feststellen zu können. Wieder ein Misserfolg.
    Das Ergebnis nach 15 Tagen intensiver Ermittlungen war nicht dürftig, es war niederschmetternd. 132 Hinweisen aus der Bevölkerung war nachgejagt worden, 68 vorbestrafte »Sittlichkeitsverbrecher« hatte man überprüft, hunderte Befragungen durchgeführt. Keine Spur hatte zum Täter geführt – nicht einmal in seine Nähe.

12
                        
                       Er hatte keinen Respekt vor der Polizei, er hatte Angst. Warum das so war, wusste er nur zu genau. Die Bilder hatte er nicht vergessen können, immer wieder wurden sie lebendig; insbesondere dann, wenn er an einer Polizeiwache vorbeikam, wenn ein Streifenwagen an ihm vorbeifuhr oder wenn ein Polizist seinen Weg kreuzte. Dann sah er den Mann auf dem Boden liegen: zusammengekrümmt, vor Schmerzen stöhnend, aus Mund und Nase heftig blutend. Mehrere Uniformierte, darunter ein Freund seines Vaters, hatten damals auf den Wehrlosen mit schwarzen Gummiknüppeln eingedroschen, mit schweren Stiefeln zugetreten; so lange, bis der Geschundene bewusstlos zusammengesackt war. Sein Vater hatte auch zugesehen, aber nur gemeint: »Recht so, perverses Schwein!« Und der Polizist, dem sie ein Pfund Kaffee gebracht hatten, war auch noch Minuten später kaum zu beruhigen gewesen. Mit glänzenden Augen und geballter Faust hatte er gemahnt: »Mit so einem machen wir hier kurzen Prozess!« Am nächsten Tag war der »Triebtäter« gestorben, man hatte ihn zu Tode geprügelt.
    Aus diesem traumatischen Erlebnis hatte er gelernt. Die Polizei ist brutal, schnappt alle Verbrecher, und »Sittentäter« müssen um das nackte Leben fürchten. Er hatte keine konkrete Vorstellung, wer und was mit derlei Etiketten gemeint war. Aber er wusste, dass »Sittenstrolche« Männer waren, die Kindern oder Frauen Gewalt antaten, sie

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