Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition)
hatte Verständnis für unsere Situation. Rouja wollte unbedingt in meiner Nähe sein, denn sie war dauernd in Angst, dass ich erneut einen Suizidversuch unternehmen würde. Ich war 24 Stunden am Tag unter Bewachung. Selbst beim Gang zur Toilette durfte ich nicht mal die Toilettentür abschließen. Nachts, wenn mich Rouja verlassen hatte, kam bis zum nächsten Morgen immer wieder eine Aufsicht vorbei und wachte neben meinem Bett, damit ich mir nichts antun würde, so labil wurde mein Zustand eingeschätzt.
Ich fühlte Scham, wie stark ich mit meiner Geschichte in Roujas Leben eingriff und wie unverhältnismäßig ich sie mit meiner Angst belastete. Wenn ich mich nicht beherrschte und es zuließ, überflutete mich das Gefühl, versagt zu haben. Ich konnte das alles nicht mehr ertragen und immer wieder kamen mir abenteuerliche Gedanken in den Sinn, wie ich mich von all dem befreien könnte. Ich sah dabei überhaupt nicht die Mühen und Sorgen meiner Familie, die ihr Leben ebenfalls vollständig nach mir ausgerichtet hatte und nur an mein Wohl dachte, ich dachte nicht an all die Menschen, die mich pflegten und mir nur Gutes wollten – ich war nur mit mir selbst und meinen Verwundungen beschäftigt, zu mehr reichte meine Kraft nicht mehr. Wenn ich aus meinem Inneren gedanklich noch herauskam, dann nur, um mich zusätzlich mit den quälenden Gedanken zu belasten, was die Gesellschaft, meine Schiedsrichterkollegen, meine Arbeitskollegen über mich denken und was die Medien über mich berichten würden. Es erstickte mich beinahe.
Mein Zustand verbesserte sich in den folgenden Tagen nicht. Die Liturgie der psychiatrischen Klinik lähmte mich mehr und mehr. Der monotone Rhythmus eines Kliniktages ist auf Dauer stärker, weil er die Neigung des Menschen zur Bequemlichkeit und Abstumpfung fördert – vor allem wenn man sich weigert, an irgendeiner Form der Therapie teilzunehmen, so wie ich und die Minuten eines vor Kurzem noch viel beschäftigten Terminstrategen eine unglaubliche Dehnung erfahren. Was Zeit ist, erfährt man am besten wieder, wenn man eingekerkert und zum Nichtstun verdammt ist, im Gefängnis oder so wie ich in dieser Klinik.
Durch die immer wiederkehrende Routine des Klinikalltags wirst du ein Teil ihrer Gemeinschaft, es saugt dich ein, je länger du dort bist. Du kannst dich nicht dagegen anstemmen. Ich musste hier raus, und zwar schnell. Ich beriet mich mit Rouja. Wir telefonierten mit meinem Vater und versuchten über seine weitreichenden Kontakte endlich einen Arzt zu finden, der mich nicht nur zwischenlagern – sondern heilen könnte. Auf Empfehlung fanden wir in Hannover einen Psychologen, der mich ambulant behandeln würde. Ich könnte zu Hause schlafen, in meinem Bett, in meiner vertrauten Umgebung und wäre endlich draußen – diesmal auf der richtigen Seite der Glastür dieser für mich so furchtbar abgeschlossenen Anstalt.
Wir diskutierten lange mit der Ärzteleitung der Klinik, und nach einer telefonischen Bestätigung, dass der Psychologe zu einer ambulanten Behandlung bereit sei, durfte ich diesen Ort nach gefühlten 30 Jahren, die nur drei Tage in meinem Leben darstellten, endlich verlassen. Ich weiß noch wie heute, wie die knauflose Glastür mit einem schweren »Plong« hinter mir ins Schloss fiel. Als ich ging, sah ich im Flur hinter mir noch einmal alle meine Leidensgefährten, die keine Chance haben würden, diese Glasschranke jemals zu überschreiten. Ich schwor mir, dass ich diesen Platz nie wieder in meinem Leben freiwillig ansteuern würde. Ich war draußen. Aber nur vorläufig.
Ich verließ die Klinik mit dem Bewusstsein, dass ich es schaffen würde. Allein die Tatsache, diesen Albtraum endlich hinter mir gelassen zu haben, verschaffte mir einen zaghaften, seit Tagen nicht gekannten Auftrieb. Ich würde wieder zu meiner alten Form zurückfinden, ich glitt förmlich wieder in meine alte Rolle, ich fantasierte mich in eine Euphorie der Stärke.
Der Termin am nächsten Tag beim Psychologen war nicht nur ernüchternd, er war vernichtend. Es begann wieder mit einem Gespräch über meine innere Befindlichkeit, für das ich seit dem Tribunal eine solche Routine entwickelt hatte, dass ich in kürzester Zeit die wesentlichen Punkte zur Sprache gebracht hatte. War ich der Meinung, dass ich durch Erkenntnis der Problemstruktur auch den Status der Beherrschbarkeit meiner Probleme erreicht hatte, löste meine Offenheit mitsamt der überwältigenden Detailfülle der Geschichte meiner
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