Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition)
plötzlich auf viele Gefühlslabyrinthe drauf – statt dass du darin gefangen bist. Du beginnst dich zu lösen. Zu befreien. Aber den genauen Mechanismus des Redens, den Frauen instinktiv so viel besser verstehen als Männer – was ich heute als Wertschätzung und vorbildlich verstehe – habe ich erst viel später verstanden.
Ich wollte vor diesem Tribunal den Dreck, der in mir brodelte, trotz meiner Abneigung irgendwie loswerden, vielleicht sogar, weil die sechs Kittelträger so kalt und anonym abstrahlten wie die weiße Wand hinter ihnen. Und so goss ich alles in vollen Kübeln auf die Resopaltische vor ihnen, alles, was meine Seele in den vergangenen achtzehn Monaten vergiftet hatte. Ich öffnete mich wie ein Geysir und versuchte, alles abfließen zu lassen, um meinen Innendruck endlich zu verringern. Nachdem die Befragung schon über eine Stunde angedauert hatte, wollte sich das Fachpersonal intern beraten, obwohl mir schien, dass ich noch längst nicht fertig war. Von den Ärzten aus dieser Runde ist mir kein Gesicht in Erinnerung geblieben, nur Schattenrisse vor einer weißen Wand. Ich wollte Hilfe und ich bekam keine. Da war nichts Warmes. Ich war ein Objekt, ein zappelnder Käfer in Rückenlage, den es zu betrachten galt.
Während die Ärzte über mich sprachen, führte mich ein Pfleger zu einem Zimmer, das mich die nächsten Wochen aufnehmen sollte. Auf dem Weg dorthin sah ich alles, was ich brauchte, um meinen Entschluss zu festigen. Ich wollte hier ganz schnell wieder raus. In dieser Station waren hauptsächlich sehr junge Menschen, die wahrscheinlich seit ihrer Geburt seelisch krank und zum Teil auch körperlich extrem behindert waren. Ich dachte, vermutlich hatten sie nie auf einem Fußballplatz das Gefühl von Freiheit erlebt, das du fühlst, wenn du mit dem Ball am Gegner vorbeidribbelst und ein Tor schießt. Manche wussten vielleicht gar nicht, was »draußen« und »Fußballplatz« bedeutet, so lange schienen einige von ihnen hier aufgrund ihres lethargischen Verhaltens schon einzusitzen. Ich fühlte unendliches Mitleid. Man muss verstehen, ich hatte so etwas noch nie vorher in meinem Leben so hautnah erlebt. Und noch nie war mir etwas so nahegegangen, sowohl seelisch als auch körperlich.
Ich sah einen jungen Mann, der mit verzerrtem Gesicht von Dämonen und Terroristen erzählte, die überall in diesem Raum anwesend seien. Da, genau neben dir. Du kannst danach greifen … Da … Ein junger Mann ging ferngesteuert wie ein Roboter über den Gang und ich sah an seinen starren Augen, dass er unter großem Medikamenteneinfluss stehen musste. Würde ich auch bald so herumlaufen? Die Umgebung löste einen Schock und neue Ängste in mir aus, zusätzlich zu denen, die ich noch gar nicht aufgearbeitet hatte. Ich spürte als zusätzliche Last, hier würde ich niemals gesund, sondern selbst irre werden. Ich sah mich eingeriegelt in dieser seltsamen Welt aus Mutanten und Weißkitteln, sediert von starken Beruhigungspillen langsam in einem Meer aus Schwachsinn versinken, ich spürte, wie meine Hände wie die eines Ertrinkenden langsam aus Roujas Händen glitten und ich unrettbar in der Tiefe versank. Ich empfand einerseits starkes Mitleid mit diesen Menschen, aber auch mit mir, dass es so weit mit mir gekommen war, und andererseits starken Ekel, der sich aus der Angst speiste, nicht so werden zu wollen wie sie. Das kann man nicht beschreiben. Als ich mit meiner Familie ohne das Tribunal alleine sprechen konnte, sagte ich verschwörerisch flüsternd, dass ich es hier keine einzige Sekunde länger aushalten könne, dass ich an dieser Umgebung seelisch ersticken würde, wenn sie mich nicht auf der Stelle mitnehmen sollten.
Nachdem sich das Tribunal abschließend beraten hatte, baten sie mich und meine Familie, nochmals in den kleinen Raum zu kommen, um mir mitzuteilen, dass ich stark depressiv sei und in der Klinik zwecks Behandlung bleiben müsse. Dieses Urteil kam wenig überraschend nach über einer Stunde seelischer Offenbarung und einer weiteren Stunde Beratung. Ich widersprach, allein schon deshalb, weil ich gesehen hatte, was mich hier erwarten würde. Ich wiederholte, was ich schon am Ende der vorangegangenen Stunde erzählt hatte, dass ich zwar stark angeschlagen, aber keineswegs depressiv sei, und auch nicht stationär in der geschlossenen Psychiatrie behandelt werden müsse. Ich sei in den vergangenen 18 Monaten von allen nur denkbaren Seiten einem enormen Stress ausgesetzt gewesen, der mich in
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