Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition)
zurückkehrte, bis endgültig eine Besserung meiner Gesundheit eingetreten sein würde. Die Therapiesitzung war wieder sehr bedrückend gewesen. Ich spürte, wie Rouja und meine Schwiegermutter besorgte Blicke austauschten. Zu Hause würde ich wieder weinen und schreien und in einer weiteren schlaflosen Nacht bis zur Erschöpfung durch die Wohnung marschieren. Irgendwann, das war beiden klar, würde es passieren. Wir waren schon draußen, als sie sich entschlossen umdrehten und zurück ins Büro des Therapeuten wollten. Ich versuchte das mit allen Mitteln zu verhindern und versperrte mit Körpereinsatz die Tür, ich riss sogar die Hand meiner Schwiegermutter von der Klinke. Wir hielten uns über eine Stunde auf dem Gang auf und stritten uns heftig. Wie ein eingesperrter Löwe im Käfig ging ich auf und ab und überwachte jede verdächtige Bewegung meiner Frau und meiner Schwiegermutter, damit sie nicht plötzlich doch in das Büro des Psychologen stürzen und mein Ende besiegeln würden. Meine Verhaltensweisen wurden immer verrückter, unberechenbarer und aggressiver.
Die beiden Frauen merkten, wie die Situation zu eskalieren drohte, und fuhren mich klugerweise wieder nach Hause. Aber war das noch mein Zuhause? Hatte sich meine Wohnung nicht bereits in eine geschlossene Abteilung verwandelt, der ich so sehr zu entkommen suchte? Ich hatte nunmehr seit Wochen nicht mehr richtig geschlafen, obwohl ich Antidepressiva und Schlaftabletten in großen Mengen verabreicht bekommen hatte. Ich war einerseits völlig erschöpft – doch zum endlosen Grübeln reichte die Kraft Tag und Nacht. Es war ein inneres Feuer, das mich zu verzehren schien. Meine Angstzustände speisten sich aus dem Gefühl, die Kontrolle über mein Leben und die Wahrnehmung meines Selbst verloren zu haben. Ich war nicht mehr der Chef auf dem Spielfeld, der gestaltet, wie ich das die ganzen Jahre zuvor von mir geglaubt hatte – die Dinge geschahen mit mir, ohne dass ich irgendwelchen Einfluss darauf zu haben schien.
Meine Familie und meine Freunde mussten in dieser Zeit einiges aushalten – und das Schlimmste war, ich merkte nicht einmal, wie ich mich veränderte. Jeden Tag rief ich abwechselnd meinen Freund Arno und meinen Anwalt Dr. Sven Menke an, um immer wieder die gleiche Schallplatte aufzulegen: Die Welt hat sich gegen mich verschworen, mein Ansehen ist ruiniert – ich werde verfolgt. Manchmal fuhren wir ohne Vorankündigung zu ihnen nach Hause. Ich musste reden. Einmal holten wir sie an einem Sonntagabend vom Abendessen aus dem Restaurant direkt zu uns ins Auto, um mit ihnen verschwörerisch geheimnisvolle Botschaften zu besprechen, die mich über Zeitungsmeldungen oder SMS erreicht hatten und die ich in meinen Angstzuständen nicht mehr zuordnen konnte. Ich entwarf Strategien, wie wir darauf zu reagieren hätten. Ich wiederholte dieses Prozedere mehrere Tage lang und trotzdem war ich mir sicher, dass sie mich alle nicht verstanden und ich der Einzige war, der den wahren Durchblick hatte. Ich glaubte ihren Beschwichtigungen nicht, die Dinge weniger ernst zu nehmen und mich endlich auf meine Genesung zu konzentrieren. Ich sah nur ihre beunruhigten Blicke. Verdammt, war hier noch irgendjemand, der wie ich vernünftig dachte? Nein, ich war der Einzige, der alles verstand und richtig zuordnen konnte. Doch das war ein Trugschluss. Ich allein war es, der sich veränderte. Und ich bin meiner Familie und meinen Freunden heute dankbar, dass sie mich damals ertragen haben.
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Es war in meiner Erinnerung ein sehr dunkler, verregneter Dezember. Die Erinnerung an die vielen Situationen, in denen ich mich ungerecht behandelt gefühlt hatte und in denen mir jede menschliche Wertschätzung verweigert und meine ganze Person als Mensch infrage gestellt worden war, erdrückte mich und nahm mir jegliche Kraft, am Leben bleiben zu wollen. Ich hatte keine Selbstliebe mehr und spürte krankheitsbedingt nur noch Wut auf Menschen, die ich subjektiv für meine Probleme verantwortlich machte. Abgelöst wurden diese Zustände von Zusammenbrüchen aus totalem Selbstmitleid und der Scham, versagt zu haben. Ich hatte gar keine Chance, mich meinen Problemen zu stellen. Sie erdrückten mich in ihrer schieren Masse einfach, weil ich fast über achtzehn Monate lang versucht hatte, ihnen keine Beachtung zu schenken, sie wegzudrücken. Jetzt war aus vielen kleinen Schneeflocken eine Lawine der Kränkung geworden, deren tosende Kälte mich einfach verschlang. Ich hielt
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