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Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition)

Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition)

Titel: Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Babak Rafati
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Personal waren für mich in diesem Moment die schlimmsten Feinde und keiner konnte meine Wut ihnen gegenüber verstehen, denn alles, was sie wollten, war ja, mir zu helfen und das Schlimmste zu verhindern. Dann wirkten die schweren Beruhigungsmittel. Ich war ein Robotermann.
    ■ ■ ■
    Am nächsten Tag stand in der BILD-Zeitung: »Polizeieinsatz bei Schiri Rafati«. Was für eine blamable Schlagzeile für mich! Nach der Erklärung, die mein Rechtsanwalt für mich abgegeben hatte, war in der Berichterstattung gerade ein bisschen Ruhe eingekehrt. Durch meine eigene Dummheit ging jetzt alles wieder von vorne los. Reporter riefen bei meinen Nachbarn, Schwiegereltern, meinem Vater an und bombardierten sie mit Fragen nach meinem Zustand. Mit der nächtlichen Polizeiaktion und den Schlagzeilen am folgenden Tag hatte sich die Demontage meines Ichs bis in mein direktes persönliches Umfeld ausgedehnt, um auch die letzte Schutzschicht zu zerstören, die mich umgab: meine Familie und meine Wohnung.
    Mein Verhalten wurde entsprechend unruhig, sodass die Ärzte der Klinik erwogen, mir mein Smartphone wegzunehmen, damit ich keine für mich belastenden Informationen aus dem Internet abrufen konnte. Ich schrie und wehrte mich dagegen und schließlich verständigten wir uns darauf, dass ich mein Mobiltelefon nur in Ausnahmefällen und nur zum Telefonieren benutzte. Dass man mir wie einem kleinen Kind das Handy entziehen wollte, war für mich ein weiterer Schritt in die Entmündigung, die immer noch als ständige Bedrohung über mir schwebte. Mein Zimmernachbar in dieser geschlossenen Station war an sein Krankenbett gegurtet. Den Grund wusste ich nicht und wollte auch nicht danach fragen. Ich bekam nur mit, dass die Ärzte sein Mobiltelefon und seinen Laptop beschlagnahmt hatten und er immer wieder bettelte, alles zurückzubekommen. Würde ich auch bald so daliegen?
    An einem Morgen saß ich mit anderen Patienten in einer Therapierunde und hörte zu, wie sie ihre Probleme austauschten, wobei ich aus Angst zitterte, gleich selbst dranzukommen, weil ich mich nicht hätte öffnen können und nichts sagen wollte. Als eine neue Patientin im mittleren Alter hereinkam, war es offensichtlich, dass sie eine körperliche Behinderung hatte, weil sie dabei spastisch zappelte. Ein anderer Patient, ein junger Mann im Alter von ca. 25 Jahren, lachte sie spöttisch aus und rief ihr johlend zu: »Ey, was hast du denn für ein Problem?«, sodass sie sofort aus Scham den Raum wieder verließ. Mein Gerechtigkeitssinn brach derart impulsiv durch, dass ich am liebsten aufstehen wollte, um diesen jungen Mann zu dieser Frau zu zerren, damit er sich für sein unverschämtes und respektloses Verhalten bei ihr entschuldigte. Ich spürte Gewaltbereitschaft, wie ich sie vorher nicht gekannt hatte. Aber ich dachte mir, dass ich in meiner heiklen Lage nicht gewalttätig handeln durfte, und kontrollierte mich. Nach einem Gewaltausbruch wäre ich womöglich genau wie mein Zimmernachbar ans Bett gekettet worden.
    Ich bin ein Mensch, der mit offenen Armen und ohne Argwohn auf andere Menschen zugeht – und ich wünsche, hoffe und erwarte immer, dass man es umgekehrt genauso mit mir hält. Das ist eine Erwartungshaltung, die mit den Interessen und den Gegebenheiten in unserer Gesellschaft frontal kollidiert. Diese Gesellschaft ist auf Konkurrenz, Angst und Druckhierarchien aufgebaut. Nicht auf ein Miteinander und Verständnis und auf Teamspiel – selbst wenn das noch so oft gewünscht und gefordert wird. Menschen, die nicht mithalten können oder so wie ich durch vielerlei Umstände aus der Spur gekommen sind, werden ausgegrenzt.
    Ich identifizierte mich mit der Frau, genau wie sie fühlte ich mich auch abgelehnt und verhöhnt – und das war es, was mich so wütend gemacht hatte. Ich verstand nicht, dass selbst in dieser Umgebung, wo alle mit ihrem Schicksal zu kämpfen hatten, so wenig Mitmenschlichkeit war und auf Menschen herumgehackt wurde, nur weil sie noch schwächer schienen als man selbst. Ich verließ den Raum. Zudem irritierte mich dieser Aggressionsschub. Ich kannte das nicht bei mir. Mehr und mehr verlor ich meine Sicherheit, Situationen richtig einzuschätzen.
    Einmal, als ich Besuch hatte, riss der junge Roboterpatient ohne anzuklopfen meine Zimmertür auf und schrie, ob ich Miroslav Klose gesehen hätte. Ich war völlig perplex, er »marschierte« augenscheinlich unter medikamentösem Einfluss eine Runde in meinem Zimmer umher und ging wieder hinaus,

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