Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition)
mich selbst nicht mehr aus. Ich fühlte mich verfolgt, nicht mehr verstanden, von Verrat und Intrigen umgeben. Ich war der Geisterfahrer auf der Autobahn, der sich wunderte, warum alle gegen seine Richtung fuhren. Nur in meinen seltenen klaren Momenten erkannte ich, wie sehr sich mein scheinbar glückliches Leben innerhalb einer Nacht zu einem Albtraum entwickelt hatte. So konnte es nicht weitergehen. Ich brauchte Platz für mein Vorhaben. Und ich musste dafür allein sein. Ich musste mit Rouja über ihre Zukunft sprechen.
Eines Abends hatte mich Rouja zu einem Spaziergang überredet, damit ich wenigstens einmal am Tag aus meinem Gefängnis heraus an die frische Luft kam und mich bewegte. Den durchtrainierten Hochleistungssportler Rafati gab es nicht mehr, meine Kleidung schlotterte am Leib, immer wieder musste ich stehen bleiben und nach Luft schnappen, auch weil ich in meiner Aufregung das entspannte, tiefe Atmen vergaß. Ich hatte mich tief in meiner Rocky-Kapuzenjacke vermummt, damit mich in meiner Heimatstadt keiner auf der Straße entlarven und fotografieren könnte. Wir müssen ein seltsames Paar abgegeben haben. Ein gebeugter Kapuzenmann diskutierte, gestikulierte, lamentierte und weinte zusammen mit einer sehr schönen Frau völlig selbstvergessen mitten auf der Straße.
Ich sagte zu Rouja, dass ich hier in Hannover am liebsten alles aufgeben würde, um auszuwandern in ein Land, wo mich keiner kannte. Wie sehr ich mich danach sehnte, ein ganz normaler Mensch sein zu dürfen, ein Mensch, der mit seiner Frau durch die Straßen bummeln, einkaufen und essen gehen konnte, ohne dass ihn Menschen fotografieren, ansprechen oder abschätzig anschauen würden. Unbemerkt atmen! Ich sagte, dass ich keine Hoffnung mehr hätte, hier in Hannover in ein lebenswertes Leben zurückzufinden. Bei jedem kleinsten Anlass würden wieder Reporter vor der Tür stehen und in meinem Privatleben herumwühlen. Ich hatte die dunkle Seite der Macht der Medien kennengelernt und den Fluch, prominent zu sein, mit allen Fasern zu spüren bekommen. Ich war eine öffentliche Person. Ich würde den Rest meines Lebens als Ausstellungsstück hinter den großen Panoramafensterscheiben des Medienbusiness fristen müssen. Zu gut konnte ich mich an Zeitungsartikel erinnern, wo dem Schicksal ehemaliger Bundesligaprofis nachgespürt wurde, obwohl sie schon seit Jahrzehnten ausgeschieden waren: »Karriereende im Lottoladen«, »Alkohol, Autos, Sex und Kokain – wie ich meine Millionen durchbrachte« oder »Er wollte Geld und Essen für sein Trikot« oder »Wenn der Held im Tor am Leben scheitert«.
Wir stellten beide schnell fest, dass wir uns nicht so einfach von unserer lieb gewonnenen Heimat und vor allem von unseren Familien trennen könnten. Ich sagte zu Rouja, ich hielte diese unmenschlichen Qualen nicht mehr aus, und schlug ihr vor, dass sie mich verlassen solle, damit ich alles andere für mich alleine »erledigen« könne. Dass es besser sei, sie würde sich einen anderen Mann suchen, der gesund sei und mit dem sie nicht in einer abgedunkelten Wohnung leben müsse. Dass ich geduldig abwarten wolle, bis sie gefühlsmäßig genügend Abstand zu mir hätte, um es dann erst zu tun. Rouja starrte mich aus sehr wachen Augen ungläubig an.
Ich analysierte meine Situation wie die Spielzüge eines Fußballspiels. Dieser sich herauskristallisierende Entschluss gab mir zum ersten Mal seit Tagen mal wieder das Gefühl, selbst zu handeln und nicht hilflos herumgeworfen zu werden. In der Nacht im Hotel war mein Verstand nicht mehr beisammen gewesen und ich hatte aus einem Affekt gehandelt, weil ich die Kontrolle über mein Bewusstsein verloren hatte. Aber jetzt war es anders, ich war bei vollem Verstand und wollte gezielt vorgehen. Meine Taktik stand. Es war eine kalte Sachplanung, diese Projektstudie Selbstmord, die alle Eventualitäten einkalkulieren und jeden Zufall ausschließen sollte. Ja, ich wollte mir das Leben nehmen und dabei stand Rouja mir im Weg. Ich war dabei, mit kalter Zuversicht in eine Richtung zu gehen, in der sie keine Rolle mehr spielen durfte. Ich wollte ihr ersparen, mich eines Tages irgendwo überraschend aufzufinden. Ich war am kritischsten Punkt meiner Erkrankung angekommen, wie ich später erfahren würde.
Viele Menschen, die einen Suizid begehen, werden von ihrer Umgebung in den letzten Tagen davor als tief gelassen, ja heiter und entspannt erlebt. Die Angehörigen fühlen sich erleichtert, weil endlich eine Besserung in
Weitere Kostenlose Bücher