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Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition)

Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition)

Titel: Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Babak Rafati
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Sicht zu sein scheint. Aber es ist nur die Vorbereitung für den Abschluss. Der Depressionskranke will durch sein »positives« Verhalten erreichen, dass seine Umgebung ihn nicht mehr permanent ängstlich kontrolliert. Für seine Tat muss er allein sein und braucht Freiraum. Die Tat kommt dann umso überraschender und ist umso entsetzlicher für die Hinterbliebenen. Die Hochstimmung in den Tagen vor der Tat ist dabei keineswegs nur gespielt. Kein Mensch hat in diesem Zustand noch die Kraft, um überzeugend etwas vorzuspielen. Die Hochstimmung entsteht, weil der gefasste Entschluss eine große Erleichterung verschafft, weil alle Selbstzweifel mit einem Schlag verschwunden sind – der Entschluss hat dem Depressiven die Gestaltungshoheit über sein Leben zurückgegeben, er kann zum ersten Mal wieder selbstbestimmt handeln, so meint er, und wird nicht mehr nur von seinen Problemen, seiner Scham und seinem Selbsthass getrieben. Der Preis für die wiedererlangte Freiheit ist der Tod.
    Und jetzt gab ich Rouja ganz selbstlos frei, sagte ihr, dass sie sich von mir trennen solle, um die Chance für ein neues Leben zu finden. Mein Ansinnen, das so selbstlos und edel daherkam, war in Wirklichkeit nichts anderes als pure Verzweiflung. Ich verachtete mich inzwischen so für diesen Zustand und mein Aussehen, dass ich es für Rouja für unzumutbar hielt, bei mir zu bleiben. Mein Selbstwertgefühl war auf null. Vielleicht liebte sie mich schon gar nicht mehr? Vielleicht war sie nur aus Gewissenhaftigkeit und auf Rat der Ärzte bei mir geblieben, obwohl sie sich innerlich schon abgewendet hatte? Welche Frau sollte auch einen Mann lieben, der so tief gestürzt war und auch äußerlich nur noch ein Bild des Jammers abgab? Zudem entging mir nicht, wie sehr ich Rouja in mein Schattenreich mit hineinzog. Ich hatte kein Recht, sie weiter an mein Schicksal zu binden, und wollte sie freigeben, damit sie mit einem neuen Partner eine Zukunft finden konnte – eine Zukunft, die ich hinter mir hatte.
    Ich markierte den Starken, aber ich war in diesem Moment so schwach wie niemals zuvor. Denn ich wusste zu genau, wenn Rouja tatsächlich ginge, war mein Leben erst Recht vorbei. Ich schien zum ersten Mal wieder alles ganz klar zu erfassen und merkte in meinem Zustand gar nicht, wie sehr ich Rouja mit meinem Gerede zutiefst verletzte, weil ich an ihrer Liebe zu zweifeln schien. Und nichts anderes tat ich in diesem Moment. Rouja, die mir gezeigt hatte, dass sie bereit war, alles für mich aufzugeben, ihre berufliche Karriere, ihre Promotion, ihr eigenes Leben, ihr Glück. Und als Dank für ihre Liebe, so empfand sie es, wollte ich sie nun verstoßen? Ihre einzige Antwort waren Tränen. Meine ganze aufgeblasene Stärke sackte in sich zusammen. Verstand sie nicht, was ich wollte?
    Nachdem wir uns auf dieser dunklen Straße im Dezembernieselregen einigermaßen beruhigt hatten, wollten wir uns etwas zu essen besorgen. Mit kalter Präzision wiederholte ich mein Vorhaben. Wir würden uns trennen. Und wenn ich sehen würde, dass sie ihr altes Leben wieder aufgenommen hätte und ihre Gefühle sich einem neuen Partner zugewendet hätten, dann erst würde ich es tun. Es ist aus heutiger Sicht unfassbar, was ich Rouja da zumutete. Spätestens jetzt musste ihr klar sein, dass all die Versuche, meine Krankheit ambulant zu behandeln, gescheitert waren. Ich bemerkte, dass sie immer wieder Blickkontakt zu anderen Menschen aufnahm, um Aufmerksamkeit zu erwecken und Hilfe zu holen. Sie hatte keine Angst um sich – vielmehr um mich. Sie hatte kein Vertrauen mehr, dass ich nicht in der nächsten Minute etwas mit mir anstellen würde. Als ich ihr drohte, was ich in meinem Leben zuvor noch nie getan hatte, sofort ihre Hilfe suchenden Blicke einzustellen, und ich ihr sagte, dass ich lebend nie wieder in eine solche Klinik gehen würde, eskalierte die Situation. Rouja wurde mit einem Schlag ruhig und schaute mich mit tränenerfüllten Augen an. Dann kramte sie in ihrer Handtasche und legte bedächtig drei Packungen sehr starker Schlaftabletten der Reihe nach auf den Tisch und sagte: »Babak, wenn du gehst, werde ich dich in den Tod begleiten. Denk immer daran, du gehst nicht noch einmal ohne mich!«
    Dieser mit aller Entschiedenheit und trotz ihrer Tränen in einer sachlichen Kühle geäußerte Satz riss mich völlig aus meiner egoistischen Umlaufbahn. Ich war völlig perplex – in meiner krankhaften Wirklichkeitswahrnehmung und meinem Misstrauen hatte ich erwartet, dass

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