Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition)
ohne mich auch nur einmal angesehen zu haben. Aus der Tatsache, dass er gerade mich nach einem so berühmten Fußballspieler gefragt hatte, schloss ich, dass meine wahre Identität selbst unter den Patienten inzwischen bekannt war. Fortan fühlte ich mich überall beobachtet und hatte große Angst, fotografiert zu werden.
Ein anderes Mal beobachtete ich, wie eine sehr junge Rollstuhlfahrerin immer wieder heftig gegen die Glastür trat und dabei sehr vulgär mit dem Personal schimpfte. Sie wollte raus aus der Station wie ich. Mehrere Ärzte und Schwestern versuchten sie zu beruhigen, was ihnen nicht gelang. Auch diese Situation empfand ich als sehr belastend, weil ich Angst hatte, bald selbst so unrettbar gefangen zu sein, und weil sich mir immer deutlicher die Frage stellte, wie lange es dauern würde, bis ich selbst derartig gewalttätig endete.
Das Leben in einer geschlossenen Abteilung ist eine fremde Welt, an die ich mich nie gewöhnen werde. Es ist nie ruhig. In der Nacht hört man Schreie. Es liegt etwas Animalisches über der ganzen Szenerie und ständig hat man Angst, dass einen irgendetwas anfällt. Als Leistungssportler war ich gewohnt, genau zu kontrollieren, welche Nahrung ich zu mir nahm. Ich aß nichts, was ich nicht kannte. In der Klink musste ich essen, was der Speiseplan der Großküche vorsah. Das wäre noch zu verschmerzen gewesen, weil ich ohnehin kaum noch aß. Aber es ging viel weiter. Eine Patientin machte mir höllische Angst, indem sie mir laufend zuflüsterte, dass wir alle Versuchskaninchen der Pharmaindustrie seien, damit sie ihre Medikamente ausprobieren und neue Forschungsergebnisse präsentieren könnten. Ich bekam jeden Tag eine ganze Batterie von Pillen, alle sehr schön bunt, und ich sah diese von Plastik umhüllten Torpedos mit ihren unbekannten Wirkstoffen bald tatsächlich als Gefahr für mich an. War ich auch schon ein Versuchskaninchen? Was mich misstrauisch machte: Die Pillen wurden unter Aufsicht eingenommen, sich weigern war zwecklos.
Und so verlor ich Stück für Stück immer mehr von meiner Freiheit und von meinem Recht auf Selbstbestimmung. Ich wurde unruhig und wütend, hier eingesperrt zu sein – und mich dennoch kooperativ und unauffällig den Ärzten zeigen zu müssen. Aber mein Verhalten wurde immer gestörter. Jedes Mal, wenn ich Sirenen von Krankenwagen in der Klinik hörte, bekam ich Verfolgungswahn, denn dieser Sound war für mich mit sehr negativen Erinnerungen verbunden, als mich Notärzte und Polizei ohne Vorwarnung aus meiner Wohnung abgeholt hatten. Ich spürte, dass es nur eine Frage der Zeit wäre, bis mein Widerstand erlahmen und ich so enden würde wie meine Mitinsassen. Lieber Gott, warum war ich dermaßen unfähig gewesen, mich selbst hinzurichten? All das wäre mir erspart geblieben. Dieser Frage sollten bald konkrete Antworten folgen.
Dadurch, dass ich nach außen hin den gefassten, verständigen Herrn Rafati spielte, um entlassen zu werden, innerlich jedoch zunehmend von meinen Gefühlen zerrissen wurde, kam ich wieder unter immensen Leidensdruck. Nichts fällt schwerer, als zu lächeln, wenn man weinen muss. Es war derselbe Zustand wie in der Zeit meiner sportlichen Niederlagen und der Druckanrufe von Herbert Fandel. Immer häufiger verfiel ich in Planspiele, wie ich diesem Leben – diesmal perfekt – final entrinnen könnte, denn ich wollte das Ganze nicht länger ertragen. Ich merkte den Reiz dieser Gedanken und versuchte sie zu unterdrücken. Aber sie kamen trotzdem in den unmöglichsten Situationen einfach hoch. Ich hatte weniger Angst vor meinem Tod als vor einem neuen Fehlschlag, denn dann würden sie mich wohl für immer wegsperren.
Die arme Rouja musste das alles miterleben, denn sie war meine einzige Bezugsperson, der ich meine Todessehnsucht offen anvertrauen durfte. Sie hatte sehr viel Kraft und Durchhaltevermögen, kam jeden Morgen und ging abends wieder nach Hause, um sich zu sammeln und mich am nächsten Tag wieder mit aller Entschlossenheit zu bestärken, gemeinsam durchzuhalten. Ich weiß nicht, wie Rouja es geschafft hat, diese Zuversicht auszustrahlen. Im Inneren sah es bei ihr bestimmt ganz anders aus, denn die Situation ist unbestritten für Angehörige von Depressionskranken noch viel schlimmer als für den Betroffenen selbst. Die Familienangehörigen des Erkrankten stehen imaginär um ein brennendes Haus und müssen mit ansehen, wie der liebste Mensch in den Flammen zugrunde geht, weil sie nicht das geeignete
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