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Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition)

Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition)

Titel: Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Babak Rafati
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daraufhin durchgeführten körperlichen Untersuchung, den Labor- und Blutanalysen und einem EKG konnte eine organische Ursache für seine Depression ausgeschlossen werden. Die testpsychologische Untersuchung bestätigte die Diagnose der schweren Depression.
    In den ersten Tagen der stationären Behandlung zog sich Herr Rafati mit seiner Partnerin den ganzen Tag in seinem Zimmer zurück. Auch das Essen nahm er die ersten Tage in seinem Zimmer ein. Jetzt erst zeigte sich mir die Schwere der Symptomatik mit ausgeprägten Schlafstörungen, Antriebslosigkeit, körperlicher Erschöpfung, Rückzug ins Bett, ständigem Grübeln und Sorgen, verbunden mit Selbstvorwürfen, Selbstabwertungen und massiven Schuldgefühlen gegenüber Kollegen und Familie aufgrund seines Suizidversuches. Er litt unter ausgeprägten Zukunftsängsten und wertete sein bisheriges Leben als völlig sinnlos und leer ab.
    Dass ich meiner Heilung nicht länger passiv zuwarten durfte, sondern selbst aktiv etwas dafür tun musste, drang nur langsam in mein Bewusstsein. Ich wünschte mir nur, dass endlich diese ewigen, zermürbenden Grübeleien aufhörten. Ich bezweifelte allerdings, dass mich die verschiedenen Therapieinhalte verändern und mich von meinen schmerzvollen Gedanken erlösen könnten. Ich wartete auf Besserung – anstatt mich selbst aktiv darum zu bemühen. Folglich passierte nichts, meine depressiven Schübe dauerten an. Und meine Unzufriedenheit wuchs. Ich versuchte mich selbst zu motivieren, kleine Verbesserungen meines allgemeinen Zustandes festzustellen, offen zu sein für die Therapie, mir helfen zu lassen – aber ich schaffte es nicht.
    Meine Familie und meine Freunde, alle redeten auf mich ein, dass wir doch endlich eine adäquate Klinik mit einem wie auf mich zugeschnittenen Therapieprogramm gefunden hätten, die zudem noch auf all meine individuellen Wünsche eingehe, die ich vorher so vehement eingefordert hätte. Sie ermahnten mich, dem Therapeuten eine Chance zu geben, ihm zu vertrauen, damit er mir helfen könne.
    Es war Vorweihnachtszeit und die Ärzte boten uns an, die Klinik an den Wochenenden für eine Nacht zu verlassen und nach Hause zu fahren. Diese Regelung ist gängig und wird von den Krankenkassen nach Absprache mit den Therapeuten genehmigt. Der Patient soll bei einer länger dauernden Behandlung nicht den Kontakt zu seinem persönlichen Umfeld verlieren. Wir beschlossen, gleich das erste Wochenende zu nutzen. Für den Notfall bekam ich eine stärkere Ration an Medikamenten an die Hand, was sehr vorausschauend war, denn die Rückkehr in meine Wohnung bedeutete einen Rückfall in die alten Verhaltensmuster. Gleich am Abend nach meiner Rückkehr verabreichte ich mir die volle Zusatzration.
    Beim Betreten der Wohnung bekam ich wie beim ersten Mal sofort Weinkrämpfe. Hatte ich mich bei der ersten Rückkehr noch gefreut, war es diesmal nur noch niederschmetternd, es war für mich wie der Besuch in der Wohnung eines frisch Verstorbenen. Sein Geruch hing noch in den Kleidern, alles sah aus wie zurückgelassen – aber alles Leben schien entwichen. Es war mein Leben. Aber der alte Babak Rafati war tot. In seiner Wohnung hatte ich nichts mehr zu suchen und war allenfalls noch Gast, so wertlos und verachtenswert fühlte ich mich.
    An diesem Adventssonntag in meinem früheren Zuhause hielt ich mich nur im Bett auf und weinte den ganzen Tag im abgedunkelten Schlafzimmer vor mich hin. Einmal versuchte ich mich an unseren Esstisch zu setzen, aber ich hielt es keine fünf Minuten aus. An diesem Tisch hatten wir viele schöne Abende mit Freunden verbracht, wenn Rouja persische Gerichte kochte. Jetzt merkte ich, dass ich für dieses gesellschaftliche Leben nicht mehr geeignet war. Ich wusste nicht mehr, wer ich war – ich hatte nicht einmal eine Idee, wer oder was ich in Zukunft sein wollte. Ich hatte das Gefühl, nirgendwohin zu gehören. Ich versuchte mir immer eine Zukunft vorzustellen – aber ich sah keine. Ich könnte doch keinen Schritt mehr nach draußen in die Gesellschaft wagen, denn jeder würde mich erkennen und mich für einen Feigling halten, der vor der Verantwortung geflohen war und jämmerlich versagt hatte.
    Sofort nach der Ankunft hatte ich an allen Fenstern die Jalousien herabgelassen, aus Angst, von einem lauernden Reporter »abgeschossen« zu werden. »Rafati wieder zu Hause – was kommt jetzt?« – diese Schlagzeile wollte ich mir unbedingt ersparen. Ich war wieder gefangen – diesmal nicht in der Klinik,

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