Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition)
teilnehmen, weil ich befürchtete, erkannt, angesprochen oder gar fotografiert zu werden und wieder in der Presse zu landen. Ein Lichtblick war, dass die Patienten ganz normal gekleidet waren und zumindest nach außen einen völlig normalen Eindruck bei mir hinterließen. Niemandem sah ich an, was für Verletzungen er in seiner Seele trug. Diese Angst war fort.
Rouja und ich gingen dreimal wöchentlich in die Psychotherapie bei Dr. Hettich und den Rest des Tages isolierten wir uns in unserem Zimmer. Mein Frühstück wurde auf das Zimmer gebracht. Das Mittagessen musste ich mir holen. Wenn ich zur Küche ging, fühlte ich mich von allen Patienten beobachtet und dachte, dass alle mit dem Zeigefinger auf mich zeigten. Ich strahlte Schwäche aus, ging gebeugt wie ein gebrechlicher alter Mann, guckte nur nach unten und ließ beim Gehen meine Füße über den Boden schleifen, wenn ich durch den Flur schlich.
Auf meinem Zimmer hatte ich viel Zeit zu grübeln. Ich existierte zwar, doch lebte ich ein Leben im Schattenreich. Abends wartete ich, bis alle gegessen hatten, und holte mir heimlich ein paar Reste auf mein Zimmer. Nur hier hatte ich ein Gefühl von Sicherheit und niemand würde mich ansprechen auf das, was geschehen war. Die Ärzte hatten mir empfohlen, im Park hinter der Klinik regelmäßig spazieren zu gehen und wenigstens einmal am Tag frische Luft zu schöpfen, jedoch traute ich mich nicht und verbarrikadierte mich auf meinem Zimmer. Zu groß war meine Angst vor den Papparazzi.
Welche Blüten meine Angst vor Entdeckung trieb, erschließt sich aus einem harmlosen Zwischenfall, der mich tagelang beunruhigen sollte. Ich saß mit Rouja in meinem Zimmer, als plötzlich ein Mitarbeiter der Klinik die Tür aufriss und sagte: »Die Polizei ist unten und sucht nach einem Herrn Babak Rafati!« Die Beamten wollten mit mir persönlich sprechen, ich sollte herunterkommen. Ich war wie gelähmt. Woher wusste der Pfleger meinen Namen? Was wollte die Polizei von mir? Und woher wussten die Polizisten, dass ich hier in der Klinik war? Ich war unter einem Pseudonym angemeldet, um meine Anonymität zu gewährleisten. Würde ich wieder zum Verhör auf die Wache abgeholt? Was war geschehen? Mein Besuch im Kölner Polizeipräsidium löst immer noch traumatische Erinnerungen bei mir aus. Ich sah, wie das gesamte Personal und die Patienten am Fenster standen und herunterschauten, und ich schämte mich dafür, dass ich mit dieser Peinlichkeit in den Mittelpunkt gerückt war. Ich bildete mir ein, dass nun jeder erfahren würde, wo ich mich aufhielt, und mich die Presse fortan belagern würde. Ich verdunkelte sofort das Zimmer und sah versteckt hinter der Gardine in jedem harmlosen Patienten im Park einen Paparazzi, der mich »abschießen« wollte.
Rouja übernahm den Fall und begab sich sofort nach unten zum Polizeifahrzeug, um alles Weitere zu klären. Sie kam hoch und winkte fröhlich mit einer Verwarnung. Fünfzehn Euro, weil sie in der Halteverbotszone für die Feuerwehr geparkt hatte. Unser Auto war auf mich zugelassen – daher hatten die Beamten nach einer Überprüfung des Fahrzeughalters nach mir gefragt. Rouja hatte die beiden Beamten gebeten, meinen Aufenthaltsort nicht zu verraten. Dankenswerterweise haben sich beide daran gehalten.
Patientenbericht Nr. 2, Babak Rafati, Dr. Hettich
Als Herr Rafati dann am 14.12.2012 zur stationären Aufnahme zu mir kam, führten wir zunächst ein ausführliches Aufnahmegespräch, in dem ich neben den aktuellen Beschwerden seine bisherige Krankheitsanamnese erfragte und mich über den bisherigen Behandlungsverlauf seit seinem Suizidversuch informierte. Dabei wurde deutlich, dass das bisher verordnete Antidepressivum zu keiner Befundbesserung geführt hatte, weshalb ich ihm zusätzlich zur bisherigen Medikation ein meines Erachtens stärker wirksames Antidepressivum verordnete. Ich klärte Herrn Rafati über die Wirkungen und Nebenwirkungen des Medikamentes auf und verdeutlichte ihm, dass wir in den nächsten Tagen die Dosis des Medikamentes kontinuierlich steigern würden, bis sich seine Symptomatik unter dem Medikament gebessert habe. Da die positive Wirkung der Antidepressiva erst nach 10–14 Tagen einsetzt, empfahl ich ihm aufgrund seiner massiven inneren Unruhe und Anspannung und den quälenden Suizidgedanken zusätzlich eine beruhigende Medikation und versprach ihm, diese sofort wieder zu reduzieren und abzusetzen, sobald seine depressiven Beschwerden abgeklungen seien. In der
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