Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition)
entschieden, sich meines Falles persönlich anzunehmen – als ein ausgewiesener Fachmann für das Krankheitsbild Depression bei Männern. Am 13. Dezember 2011, über drei Wochen nach meiner Tat, kam ich endlich da an, wo ich von Anfang an hingehört hätte: in eine Fachklinik mit einer Spezialtherapie für depressive Männer.
Das erste Treffen mit meinem Therapeuten Dr. Hettich war symptomatisch für meine innere Situation. Allein die Tatsache, dass ich über die Robert-Enke-Stiftung – wenn auch indirekt – wieder in Kontakt mit der Fußballwelt, dem DFB, Hannover 96 und ihren Vertretern kam, bewirkte, dass ich mich zusammenriss und wieder in meine alte Rolle als starker Rafati verfiel. Ich wollte ein gutes Bild abgeben und war nach außen wie ausgewechselt, wirkte stark und zuversichtlich. Aber ich lasse meinen Therapeuten Dr. Michael Hettich erzählen, wie er mich bei unserem ersten Zusammentreffen erlebt hat.
Patientenbericht Nr. 1, Babak Rafati, Dr. Hettich
Wir trafen uns zufällig auf dem Parkplatz vor der Klinik. Herr Rafati erkannte mich sofort als Chefarzt der Klinik und sprach mich direkt an. Er wirkte in keinster Weise depressiv auf mich, was mich sehr überraschte. Er war gepflegt gekleidet, seine Körperhaltung war aufrecht, seine Gestik und Mimik freundlich und lebhaft mit einem Lächeln. Bei einem so akuten Krankheitsbild, wie ich es aus seinen Krankenberichten lesen konnte, war das ungewöhnlich. Ich zeigte Herrn Rafati und seiner Lebensgefährtin die Räumlichkeiten der Tagesklinik für Männer und beschrieb ihm unser achtsamkeitsbasiertes Therapiekonzept, das speziell auf die Symptomatik von depressiven Männern abgestimmt ist. Männer sind in der Depression weniger in der Stimmung niedergedrückt als eher gereizt, aggressiv gespannt und unruhig. Sie ziehen sich zurück und sprechen wenig über ihre Probleme, weshalb sich Männer immer noch 3 x häufiger als Frauen im Rahmen einer Depression das Leben nehmen. Zunächst dachte ich, dass eine tagesklinische Behandlung für Herrn Rafati völlig ausreichend sei, da er mir auf den ersten Blick ausreichend stabil erschien, um tagsüber an dem tagesklinischen Behandlungsprogramm teilzunehmen und die Nacht zu Hause zu verbringen. Als die Lebensgefährtin dann aber berichtete, dass ihr Partner nachts unter massiver innerer Unruhe, Ängsten und wiederkehrenden Suizidgedanken leide und sie sich nicht mehr zutraue, die Verantwortung für sein Leben zu übernehmen, war mir sofort klar, dass für Herrn Rafati nur eine vollstationäre Behandlung infrage käme. Wir setzten uns also in meinem Arztzimmer zu einem längeren Gespräch zusammen, in dem Herr Rafati nochmal ausführlich berichtete, wie es zum Suizidversuch gekommen war und was ihn derzeit belaste. Es wurde deutlich, dass er derzeit unter allen Symptomen einer schweren Depression litt, er keinen Ausweg aus seiner Situation sah, er weiterhin am liebsten seinem Leben ein Ende setzen wollte, dies seiner Lebensgefährtin jedoch nicht mehr antun wollte.
Ich klärte ihn und seine Lebensgefährtin über den Verlauf einer psychiatrischen Krankenhausbehandlung auf, dass er z. B. aufgrund seiner Suizidgedanken die Station nur in Begleitung verlassen dürfe und dass er zusätzlich zu den psychotherapeutischen Gesprächen von mir medikamentös behandelt werde. Hierauf konnte er sich einlassen, stellte aber auch Bedingungen. Er wollte an keinen Gruppentherapien teilnehmen, da er befürchtete, wenn er in einer Gruppe über seine Probleme sprechen würde, Informationen an die Presse weitergeleitet werden könnten. Des Weiteren konnte er sich eine stationäre Behandlung nur vorstellen, wenn seine Lebensgefährtin sich den ganzen Tag über bei ihm aufhalten dürfe und sie an allen therapeutischen Gesprächen teilnehme. Da bei Herrn Rafati Schuld- und Schamgefühle über seinen Suizidversuch und erhebliche Ängste vor Presseberichten bestanden, war mir schnell klar, dass Gruppentherapien für ihn zu Beginn der Behandlung eine Überforderung darstellen würden, sodass wir tägliche Einzelgespräche vereinbarten und er die Möglichkeit erhielt, sich ganz in sein Zimmer zurückziehen zu dürfen.
Kritisch bewertete ich zunächst den Wunsch von ihm, dass seine Lebensgefährtin den gesamten Tag bei ihm verbringen solle. Während einer psychiatrisch-psychotherapeutischen Behandlung ist es häufig günstig, Besuchszeiten von Angehörigen zu begrenzen, damit der Patient zur Ruhe kommt und sich auf das therapeutische Programm
Weitere Kostenlose Bücher