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Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition)

Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition)

Titel: Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Babak Rafati
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Hettich
    Die verordneten Medikamente erlebte er zunächst als wenig hilfreich, sodass er jeder Dosissteigerung skeptisch bis ablehnend gegenüberstand. Hier zeigte sich Herrn Rafatis starkes Kontrollbedürfnis und sein Wunsch, alles im Griff haben zu wollen, weshalb es ihm schwerfiel, sich auf einen ihm noch nicht vertrauten Arzt und auf ein unbekanntes Medikament einzulassen, das in irgendeiner Art und Weise die Psyche verändern sollte. Erst nachdem ich ihm die Wirkungsweise der Antidepressiva vermittelt und ihm klargemacht hatte, dass ich seit zehn Jahren erfolgreich depressive Menschen behandle und er mir deshalb voll und ganz vertrauen solle, konnte er sich auf die medikamentöse Einstellung einlassen. Erst durch die Kombination aus medikamentöser Behandlung, körperlicher Aktivierung, Achtsamkeitsübungen, Vermittlung psychotherapeutischer Strategien und dem zunehmenden Abbau von Vermeidungsverhalten kam es zu einer kontinuierlichen Besserung der Depression.
    Erst jetzt wurde es möglich, über Auslöser für die Depression zu sprechen. Es wurde deutlich, dass die öffentlichen Bloßstellungen, insbesondere der fehlende interne Rückhalt, die Angst vor erneuten Fehlern als Schiedsrichter sowie die als ungerecht erlebte Behandlung durch andere ihn im Kern seiner Persönlichkeit verletzt hatten. Dabei hilft es für die Psychotherapie nicht, die Schuld bei anderen zu suchen, denn ändern kann man nicht die anderen, sondern nur seine eigenen Einstellungen. Daher war es im therapeutischen Prozess für Herrn Rafati wichtig zu erkennen, wie sehr er sich durch seine hohen Leistungsansprüche mit Leitsätzen wie »Ich muss immer perfekt sein«, »Ich darf keine Fehler machen« selbst unter Druck gesetzt hatte und daher Fehler, wie sie jedem Schiedsrichter unterlaufen, für ihn inakzeptabel waren und damit zum Verlust der Anerkennung für sich selbst geführt hatten. Auch ist es für einen Menschen, der die Einstellung hat, dass die Welt gerecht zu sein hat, besonders verletzend, wenn er ungerecht behandelt wird. Auch der Verlust von Ansehen und Anerkennung ist nur für den belastend, der sie für wichtig hält. Besonders schmerzlich war es für Herrn Rafati, der ein hohes Bedürfnis nach Kontrolle hat, miterleben zu müssen, wie man öffentlich bloßgestellt wird, ohne etwas dagegen unternehmen zu können.
    Während der Therapie wandte Dr. Hettich ein sogenanntes »metakognitives Konzept« an, das dem Patienten helfen soll, alle geistig-mentalen Vorgänge, ihre Inhalte und Ursachen zu erkennen und ihrer gewahr zu werden. Denken – so wie ich in meinen Erinnerungsschleifen – wird als ein durch Außenreize wie Stress sehr störanfälliger Prozess angesehen. Metakognition soll dem Patienten kurz gefasst helfen, wieder Herr über seine Gedanken zu werden, um ihnen nicht hilflos ausgeliefert zu sein. Es ist das »Wissen über das eigene Wissen« – und beschreibt eigentlich einen Selbstfindungsprozess, bei dem der Patient sehr stark eingebunden ist und unter Anleitung selbst nach dem richtigen Weg für seine Heilung suchen muss.
    Dr. Hettich sagte ganz klar, dass er mir meine Probleme nicht nehmen könne, sondern mir helfen wolle, damit umgehen zu können. Das Ziel war »loszulassen«, zu akzeptieren und mit enormen Belastungen leben zu können – ohne sie gleich beseitigen zu müssen. Man stürmt nicht mehr mit dem Kopf gegen die Wand – sondern umgeht das Hindernis über einen Umweg, den aber jeder für sich selbst finden muss. Durch diese aktive Beteiligung übernimmt der Patient zunehmend Verantwortung für seine Heilung, Fortschritte nimmt er dadurch viel deutlicher wahr, was zu seiner Motivation beiträgt, den angefangenen Prozess fortzuführen, anstatt – wie bei mir mehrfach geschehen – ihn resigniert abzubrechen.
    Zu den Zielen der Therapie gehört auch die vom Arzt unterstützte Entwicklung einer neuen Lebensperspektive. In diesem Prozess der Heilung würde ich mein ganzes bisheriges Leben umkrempeln müssen, um einen Neuanfang zu setzen und die Ursachen meiner Krankheit zu beseitigen. Das geht nicht, ohne das Geschehene zu akzeptieren und die Bereitschaft für aktive Veränderungen, um den schädigenden Missstand zu beseitigen. Jeder weiß, wie schwer das Durchhalten selbst gesunden Menschen fällt, die sich am Neujahrsmorgen mit guten Vorsätzen schwören, mit dem Rauchen aufzuhören, weniger zu trinken, mehr Sport zu machen und endlich abzunehmen. Bei mir war die Aufgabenstellung weitaus

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