Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition)
so weit war ich in meinem Misstrauen, als Falle, um mich bei einem Fehler auch als FIFA-Schiedsrichter endgültig ins Abseits zu schieben – beflügelt von den Protesten in den Medien und Fanforen?
Damals begann die Krankheit schon immer stärker in mir zu fressen. Mit meinem Obmann konnte ich nicht mehr vertrauensvoll sprechen. Meine Isolierung innerlich wie außen war rasant im Fortschreiten. In diesem Zustand der beginnenden Zerrüttung lief ich in der ausverkauften Allianz Arena vor 69.000 Zuschauern mit den beiden Mannschaften zum Mittelanstoß. Das Spiel verloren die Bayern damals 0:1 nach einem Tor in der 62. Minute durch Igor De Camargo – dem ich nur zwölf Minuten später, in der 74. Minute, nach einem Foul die Gelbe Karte zeigte. Rot war damals nicht dabei. Das Spiel war für mich gut verlaufen, es gab keine Diskussionen, selbst der Kicker gab mir die Note 1,5– was damals nur oberflächlich für Erleichterung sorgte, denn meine Grübeleien verstärkten sich Ende August, als Herbert Fandel mich anrief, um mir mitzuteilen, dass meine Karriere als FIFA-Schiedsrichter beendet sei. Jahrzehnte schienen mir seither vergangen.
Und jetzt wieder Gladbach gegen Bayern, die Überraschungsmannschaft der Saison beim Rückrundenstart, auf dem Sprung in die Champions League. Eine große Herausforderung, denn ich würde seit meinem schrecklichen Unfall das erste Mal wieder Fußball schauen. Ich hatte Befürchtungen, ich könnte – nur getrennt von einem millimeterdünnen Bildschirm – mich wieder ins Stadion versetzt fühlen, diesen Sound hören, die Aufregung abschütteln, mitlaufen … pfeifen. Meine Fußballleidenschaft lag wie ein zusammengerollter Pitbull schlafend, weit weg und ganz tief in meinem Inneren. Würde das alles wieder zum Leben erwachen?
Aber es kam ganz anders. Ich schaltete den Flatscreen an – und war ein ganz einfacher Fernsehzuschauer. Früher hätte ich die Länge jedes Grashalms wahrgenommen, jeden Spielzug, jeden Abpfiff, jedes Foul, jedes Tor in Slowmotion wieder und wieder angesehen und wäre förmlich mit dem Bildschirm verschmolzen. Diesmal bemerkte ich eine ganz seltsame Distanz, der ich zunächst nicht traute. Bunte Punkte, die von rechts nach links einer unerklärlichen Idee hinterherlaufen. Es war so, wie wenn man manchmal um Mitternacht beim Zappen irgendwo auf ein fernes Ligaspiel zwischen den russischen Donkosaken und einer usbekischen Schülerauswahl trifft. Es interessierte mich nicht.
Ich verfolgte den Patzer von Neuer, der sonst ein Weltklassetorhüter und ein sympathischer Typ auf dem Platz ist, dessen katastrophaler Fehlpass das erste Tor durch Reuss und die 1:3 Niederlage der Bayern einläutete. Das hätte mich sonst aus dem Sessel gerissen. Egal. Trotz eines Gegentreffers durch Schweinsteiger in der 76. Minute rutschte Gladbach mit dieser Spielleistung in der Bundesligatabelle auf Platz zwei hinter den Rekordmeister. Ich sah das alles. Ich nahm das alles wahr. Aber es interessierte mich nicht. Rouja umso mehr, die mich zunehmend ungläubig anstarrte, die kaum glauben konnte, was sie sah: einen gelangweilten Rafati, der sich eher dazu zwingen musste, ein Fußballspiel anzuschauen. Nichts davon war gespielt. Es war aus. Für immer. Keine Gefühle, keine Wehmut, nicht mehr dazuzugehören. Irgendwie hatte ich es geschafft, meiner Fußballleidenschaft die Rote Karte zu zeigen. Ich hatte fertig.
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Dann kamen meine letzten Tage nach acht Wochen in der Klinik. Es war ein Hochgefühl der Vorfreude. Ich hatte inzwischen das Gefühl, hier eher ein Besucher zu sein denn ein Patient. Nunmehr beobachtete ich andere Kranke, in welch schauerlichem Zustand sie in der Klinik ankamen und genauso wie ich in meinen ersten Tagen mit leeren Augen den Blick abwandten und gebeugt durch den Gang schlichen. So musste ich Wochen zuvor auch auf andere Menschen gewirkt haben. Meine Isolation hatte ich in der Therapie erfolgreich aufgebrochen. Mittlerweile ging ich jeden Tag in den Gemeinschaftsraum, um mit den anderen Patienten die Mahlzeiten einzunehmen. Es war Teil meines Belastungstrainings für die Rückkehr in die Gesellschaft, denn ich wollte spüren, wie es sich anfühlt, wieder unter Menschen zu gehen. In den ersten Wochen hatte ich kaum das Zimmer verlassen, immer in der Angst, erkannt zu werden. Zudem war ich nicht in der Lage, mit fremden Menschen ein Gespräch aufzunehmen. Jetzt war ich es, der das Gespräch suchte.
Ja, ich hatte das Gefühl, dass ich meine psychische
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