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Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition)

Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition)

Titel: Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Babak Rafati
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einem nicht nachlassenden Interesse an mir als Mensch. Unser Verhältnis schien mir gleichberechtigt, er behandelte mich nie von oben herab – und doch hätten wir beide es nie zugelassen, unser Verhältnis als Freundschaft zu bezeichnen, dafür war der gegenseitige Respekt viel zu hoch. Durch unsere Gespräche lernte ich so langsam, mich auf mich selbst zu konzentrieren, meine Stärken und meine Schwächen zu analysieren und mich weniger darum zu kümmern, was andere von mir denken mochten. Die seit meiner frühesten Jugend eingeimpfte Parole, dass ich mir meinen Platz in der Gesellschaft und Anerkennung erkämpfen müsste, steckte noch tief in mir drin. Ich hatte mein Leben lang Angst, unwissentlich einen Fehler zu machen, für den mich andere ausgrenzen würden. Ich hatte nicht gelernt, den Spieß umzudrehen, wie ein mir bekannter Vorstandsvorsitzender, den ich mal fragte, wie er es schaffen würde, so selbstsicher und eloquent ohne Manuskript und völlig unaufgeregt Vorträge zu halten. Er lachte und sagte: »Herr Rafati, ganz einfach: Ich stelle mir immer vor, dass meine Zuhörer alle nackt sind!« – sodass also nicht er sich zu schämen brauchte, sondern die Menschen im Publikum. Manchmal müssen wir nur die Sichtweise ändern, damit wir uns nicht selbst klein und abhängig machen und uns durch die Angst vor Scham von anderen Menschen manipulieren lassen. Keine schlechte Strategie, wie ich finde.
    Die Welt zu ertragen würde leichter für mich, wenn ich zukünftig wieder selbstbestimmt und nicht abhängig von anderen meine Schritte setzen könnte, so, wie ich es vor meiner Zertrümmerung eigentlich auch getan hatte. Das Hinterfragen, das Misstrauen, diese maßlose Angst, Fehler zu machen und dafür verurteilt zu werden, hatte erst mit den Querelen mit meinen Schiedsrichterobleuten und den Verunglimpfungen durch die Fans und die Medien eingesetzt. Die für mich entscheidende und sehr einfache Frage würde zukünftig lauten: Will ich mein Leben leben – oder ein fremdes Leben, wie andere es mir vorschreiben? Will ich mich wohlfühlen oder handle ich nur danach, was andere in der Gesellschaft mir zubilligen? Ich habe heute gelernt: Wichtig ist zu sein, um zu sein – und nicht zu tun, um zu sein, also nicht auf Biegen und Brechen gesellschaftskonform zu handeln, sich fremden Vorgaben zu beugen, sondern ausschließlich auf das Wohlbefinden der Seele und des Geistes zu schauen.
    Nachdem Dr. Hettich zufrieden festgestellt hatte, dass ich zunehmend offener wurde und meine Probleme rationaler anging, legte er die nächste Stufe der Herausforderungen fest. Nichts hatte mich ja so mit jeder Faser meines Körpers beschäftigt wie Fußball – und durch nichts war ich so abgestürzt. Alles, was auch nur im Entferntesten mit Fußball zu tun hatte, machte mir Angst. Ich hatte bisher immer sofort weggeschaltet, wenn ich irgendwo beim Zappen zufällig Spieler über den Rasen laufen sah. Nicht einmal die Ford-Werbung im Fernsehen konnte ich damals ertragen, weil der Spot mit der Hymne der Champions-League-Spiele unterlegt war. Und genau an dieses gewaltige Angstpotenzial sollte ich jetzt ran. Es war auch ganz klar, dass wir diesen dicken Brocken Fußball erst einige Wochen nach Beginn der Therapie angingen. Klar war aber auch, dass ich ohne Verarbeitung meines Fußballtraumas in großer Gefahr wäre, einen Rückfall zu erleiden. Aber eines Morgens war es so weit.
    Dr. Hettich ist kein großer Fußballkenner und so war ich erstaunt, als er mich fragte, welche Chancen ich denn zum Auftakt der Rückrunde Borussia Mönchengladbach gegen Bayern München einräumen würde. Als Hausaufgabe sollte ich mir das Spiel anschauen und ihm berichten. Vielleicht war Dr. Hettich doch ein größerer Fußballfan, als ich bisher angenommen hatte, denn genau das Hinspiel dieser Begegnung hatte ich in der Vorrunde gerade mal fünf Monate zuvor geleitet. Damals, am 7. August 2011, drei Monate vor meinem Suizidversuch, war ich schon nicht mehr ich selbst, total verunsichert, tief verletzt – und voller Misstrauen. Es war das Auftaktspiel zum Saisonbeginn – das traditionell von den formbesten Schiedsrichtern gepfiffen wurde. Das erste Spiel hat immer einen hohen Aufmerksamkeitswert und trotz meiner fehlenden Spielsouveränität, die Fandel mehrfach kritisiert hatte, hatte er mich ausgerechnet hier eingesetzt. Ich weiß noch, wie ich die ganze Fahrt zum Spiel und in den Tagen davor gegrübelt hatte, wie ich das bewerten sollte. Als Chance oder,

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