Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition)
bin sicher, dass sie in dieser Zeit auch oft am Leben verzweifelte, obwohl ich von ihr nie ein Wort des Vorwurfs oder überhaupt irgendetwas zu diesem Thema hörte. So hatte ich die Hoffnung, dass uns beiden die Übungen ein bisschen Linderung verschaffen würden.
Wir mussten die Augen schließen und sollten uns für zehn Minuten allein auf unsere Atmung konzentrieren. Bewusst einatmen, nicht flach und falsch, wie wir das den ganzen Tag über tun – sondern tief aus dem Bauch heraus die Lungen mit Luft aufpumpen, dabei die Schulter nach oben ziehen und den Kopf leicht nach hinten legen, um der Lunge möglichst viel Raum zur Entfaltung zu geben. Ein und aus. Vor dem Ausatmen sollten wir kurz die Luft anhalten und dann langsam und gleichmäßig aus uns herausströmen lassen – und den Prozess aufs Neue beginnen. Ein und aus. Währenddessen gab die Therapeutin uns unterstützende Anweisungen, wie wir diesen Prozess auch in der Wahrnehmung vertiefen könnten.
Nichts ist schwerer, als sich zehn Minuten nur auf seine Atmung zu konzentrieren, auf das Strömen der Luft, die plötzlich wie ein klarer Gebirgsbach durch unsere Lunge, die Adern, den ganzen Körper zu fließen scheint, und auf die Gefühle, die tiefe Atmung in unserem Körper freisetzt. Alles auf einmal wahrzunehmen, was in eben dieser Sekunde um uns herum passiert, ist eine große Anstrengung. Natürlich wollen die Gedanken sich der Konzentration immer wieder entziehen, sie brechen wie Wildpferde nach links und nach rechts aus und sind nur mit einer großen Willensanstrengung zu zähmen. Grübeln ist doch viel leichter und schöner, gaukeln sie uns vor. Und genau darum geht es: den ewig in uns fließenden Strom der Gedanken in die Schranken zu verweisen und im Kopf für Stille und Entspannung zu sorgen, damit die Seele endlich wieder die Chance bekommt, sich nach dem in der Depression erlittenen ziellosen Feuerwerk an Kurzschlüssen wieder zu erholen. Die Gedanken werden auf die Wahrnehmung im Hier und Jetzt, in der nächsten Umgebung reduziert, kein Wühlen in der Vergangenheit, keine Ängste vor der Zukunft – nur lauschen, wahrnehmen im Fluss des eigenen Atems, ohne dabei zu beurteilen und zu bewerten, und einfach akzeptieren, dass es so ist und es gut ist, dass es so ist.
In anderen Übungseinheiten wird ein sogenannter Bodyscan durchgeführt. Dabei legen sich die Patienten rücklings auf den Fußboden und »durchwandern« unter Anleitung der Therapeutin gedanklich ihren Körper. Das geht in etwa so: »Wählen Sie eine bequeme Haltung und konzentrieren Sie sich ganz auf die Übung, die wir gemeinsam erleben werden. Spüren Sie in sich hinein und fühlen Sie, wie sich eine wunderbare Ruhe in Ihrem Körper ausbreitet. Alles andere ist unwichtig. Konzentrieren Sie sich innerlich ganz auf diese Ruhe, genießen Sie diese Ruhe, während Sie langsam die Augen schließen …« Dann fordert die Therapeutin auf, in Gedanken im Körper zielgerichtet zu »wandern«, von den Armen bis in die Zehenspitzen. Dabei geht es darum, die abschweifenden Gedanken zu fokussieren und sich möglichst auf sein Körpergefühl zu konzentrieren, analog der Atemübung. Sich nicht ablenken lassen, sich auf das Wesentliche des Moments konzentrieren – das weckt ganz neue Energien. Rouja schlief bei dieser Übung sofort ein und ich hatte bei ihr lange nicht mehr ein so entspanntes, glückliches Gesicht gesehen.
Auf meinen heutigen Alltag hat diese Therapie einen großen Einfluss, denn ich habe gelernt, alles bewusst wahrzunehmen, ohne dabei zu bewerten und alles Empfinden zu hinterfragen. Es ist so, wie es ist, und es ist gut, dass es so ist, wurde mir dabei gelernt.
Später führten wir den Bodyscan und die Atemübungen auch in der freien Natur eines nahe gelegenen Waldes durch. Dass ich in den ersten Sitzungen zur Achtsamkeit häufiger dachte, was dieser Unsinn soll, kann ich an dieser Stelle leider nicht verheimlichen. Natürlich, dachte ich, weiß ich doch wohl am besten, was Atmung ist, liebe Freunde. Ein Hochleistungssportler ist zwangsläufig Experte für Atmung, weil er weiß, dass der Muskel Sauerstoff braucht, um hochtourig laufen zu können. Der Körper ist seine Maschine, die Leistung bringen muss, wenn ein Spurt von der Mittellinie zum Strafraum in der anderen Spielhälfte notwendig wird. Ich kann in einem Bundesligaspiel doch nicht meditieren, den Anstoßkreis oder den Strafstoßpunkt nicht plötzlich mit einem Ommmm unter dem Blickwinkel des Yin und Yang und seiner
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