Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition)

Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition)

Titel: Ich pfeife auf den Tod!: Wie mich der Fußball fast das Leben kostete (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Babak Rafati
Vom Netzwerk:
genüsslich in meiner so deutlich sichtbaren Wunde zu bohren. Die Scham darüber belastete mich sehr, sodass ich das Gefühl hatte zu ersticken, so groß war meine Atemnot. Dazu kam eine nie gekannte Reizüberflutung an schmerzhaften Gefühlen. Ich hörte das Blut in meinen Ohren rauschen, dachte an eine Art Hörsturz und sah alles nur noch verschwommen. Die negativen Signale, die ich zu verarbeiten hatte, waren zu stark.
    Während des Spiels kam die nächste Erniedrigung, kaum dass ich mich einigermaßen gefasst hatte. Nach einem Lattenschuss, bei dem der Ball wie bei meinem Wembley-Tor wieder kurz vor der Torlinie auf den Boden ploppte, sprang der gesamte Fanblock von St. Pauli hinter mir auf und rief im Chor: »Rafati – Du-Arsch-Loch! Rafati – Du-Arsch-Loch!« Ich starrte nach vorn. Fixierte irgendeinen Punkt auf dem Rasen. Mir war in derselben Sekunde klar, dass die Bilder dieser öffentlichen Verhöhnung in ganz Deutschland übertragen wurden und auch auf dem Flatscreen von Fandel und Krug landen würden. Die Reservespieler und offiziellen Vereinsvertreter beider Mannschaften sahen meinen verzweifelten und hilflosen Blick, was mich noch mehr verunsicherte. In dieser Sekunde schrie alles in mir: »Babak, raus aus diesem Stadion, geh endlich – mach Schluss!«
    »Rafati – Du-Arsch-Loch!«, hallte die ganzen nächsten Tage genauso laut durch meinen Kopf wie Herbert Fandel: »Hallo, Babak. Fußball ist ein Geschäft, das Menschen verbrennt.« Ich brannte lichterloh. Am Montag würde der Spießrutenlauf weitergehen, denn auch meine Nachbarn, Freunde und Kollegen würden die Gesänge gesehen und gehört haben. »Rafati – Du Arschloch!« Ich würde wieder spielen müssen. Nicht auf dem Feld – sondern meine Rolle als starker, unbeeindruckbarer Rafati, der alle Beleidigungen weglächelte, an denen er in Wirklichkeit zu zerbrechen drohte. Spätestens nach dem Hamburgspiel hätte ich zurücktreten müssen.
    Eine Woche später, am 19. März 2011, hatte ich ein brisantes Spiel in der dritten Liga zu leiten, das erwartet heiß umkämpfte traditionelle Thüringenderby zwischen Carl-Zeiss Jena und Rot-Weiß Erfurt. Diese Begegnungen waren auch für einen Bundesligaschiedsrichter immer ein Highlight, denn hier wurde vor atemberaubender Kulisse alles geboten: Kampf, Rasse, Klasse – alles, was wundervollen Fußball ausmacht.
    Es passte abermals zu meiner sportlichen Situation, dass der Assistent eine folgenschwere Fehlentscheidung traf und damit vermutlich der Spielausgang beeinflusst wurde. Auch hier kann man dem Assistenten keinen Vorwurf machen, denn er hatte einen Wahrnehmungsfehler und den letzten Pass und die entscheidende Berührung zum abseitsstehenden Mitspieler übersehen und somit nicht bewertet. Der Ärger der Mannschaft und der Fans war verständlich, da beide Vereine jede Saison den besonders ehrgeizigen Anspruch haben, gerade dieses Spiel zu gewinnen, um von einem erfolgreichen Saisonverlauf sprechen zu können. Von allen Seiten hörte ich: »Wieder der Rafati!« und dass bei mir nunmehr selbst Spiele der dritten Liga nicht mehr ordnungsgemäß abliefen. Ich war wieder im Fokus. Das Ziel von Hohn und Spott.
    Die Strafe kam prompt. Nach den Ereignissen in Jena legte Krug in der Sportbild nach. In einem Interview teilte Krug mit, dass in der heißen Endphase der Bundesliga nur noch erfahrene Schiedsrichter eingesetzt würden, um beim Kampf um die Meisterschaft und den Klassenerhalt für Ruhe zu sorgen. Im Nachsatz las ich dann, dass dagegen »umstrittene Unparteiische wie Babak Rafati gar nicht zum Einsatz kommen« würden. Wer, wenn nicht Krug, sollte das der Sportbild gesagt haben? Der war aber als Liga-Vertreter doch gar nicht für mich zuständig? Der für mich zuständige Obmann Fandel dagegen hatte mir nichts gesagt. Zum zweiten Mal erfuhr ich mich betreffende Personalentscheidungen aus der Zeitung. Es riefen in Folge zahlreiche Topschiedsrichter – auch aus der FIFA – an und sagten, es sei eine Unverschämtheit, dass sich der DFL-Angestellte Hellmut Krug derartig in die Belange der Ansetzung von Schiedsrichtern einmische und Zeitungsinterviews gebe. Es war nur ein weiterer Beleg, dass sich Krug längst als der eigentliche Chef der Schiedsrichterkommission verstand.
    Über diesen Artikel wollte ich am liebsten Stillschweigen breiten, was bei der Auflagenstärke der Sportbild natürlich reines Wunschdenken war. Jeder hatte es gelesen. Der tiefe Fall des FIFA-Schiedsrichters Rafati war überall

Weitere Kostenlose Bücher